Was will dieser Blog?

Dies ist der Blog ehemaliger Mitglieder des "Werkes". Er enthält Geschichten, Tatsachen und Erfahrungen, die vom "Werk" sorgfältig verschwiegen oder geleugnet werden. Er sei jedem ans Herz gelegt, der mit dem "Werk" in Kontakt kommt.

Aus dem Brief eines besorgten Priesters

Dies ist ein Ausschnitt aus dem Brief eines Priesters, der dem Werk zunächst wohlgesinnt war und junge Menschen mit der Gemeinschaft in Kontakt gebracht hat. Als er später die zweifelhaften Vorgehensweisen des Werkes erkannte, versuchte er vergebens Kontakt mit einer jungen Frau aufzunehmen, die durch ihn auf das Werk aufmerksam geworden ist und dort eingetreten war:

"Du weißt ja selbst noch von früher, was das Opus Dei ist. Die Praktiken des 'Werkes', die ich mittlerweile kennengelernt habe, sind genau dieselben: Abhören von Telefongesprächen, Briefzensur, Abschottung von Familie und Bekannten, Gehirnwäsche für Kandidaten, die aufmucken usw. Hat dir das alles noch nicht die Augen geöffnet? Mir schon!  
Gibt es denn niemanden in deiner Gemeinschaft, der noch ein Herz hat, der die Liebe über das Gesetz stellt, wie Jesus es getan hat? Wir danken Gott dafür, dass deine Geschwister ihren Irrtum noch rechtzeitig erkannt haben [Anm: der Bruder und die Schwester der angeschriebenen jungen Frau waren ebenfalls vom Werk 'rekrutiert' worden, sind aber kurz vor ihrem Eintritt wieder abgereist]. Es schmerzt deinen Bruder sehr, dass seine Lieblingsschwester ihn einfach abweist, nach so vielen glücklichen Jahren.  
Ich schreibe dir das alles mit einem blutenden Herzen und du weißt, dass mein altes Herz keine Freude daran hat, aber ich sorge mich um dich, sehr sogar. Bekomme ich auf meinen Brief keine Antwort von dir - oder fällt er der Zensur zum Opfer? Wird dir die Antwort diktiert? Ich warte - und bete weiter für dich."


Zusammenleben von Männern und Frauen im Werk. Ideal und Realität.

Das Zusammenleben von Männern und Frauen im Werk.

Ideal und Realität



Die gottgeweihten Männer und Frauen des „Werkes“ müssen sich bewusst bleiben, dass die fruchtbare gegenseitige Ergänzung nur dann möglich ist, wenn sie sich von der Gnade des „Heiligen Bündnisses“ durchdringen lassen und die Vorrangstellung der Jungfräulichkeit im konkreten Leben beachten. Sie sollen in Treue und Entschiedenheit den Weg der Nachfolge gehen, denn „die Komplementarität in der geistlichen Vater- und Mutterschaft, wie sie im ‚Werk‘ gesehen und gelebt werden muss, setzt eine tiefe Läuterung und Heilung von den ungeregelten Begierden der sündigen Natur in Gottes barmherziger Liebe voraus. Diese gegenseitige Ergänzung ist ein wahres Gnadengeschenk Gottes an die heilige Kirche und kann ohne diese Voraussetzung nicht in der von Gott gewollten Weise fruchtbar werden“ (M.J.V.).

Die gottgeweihten Männer und Frauen streben danach, einander in Vertrauen, Offenheit und Herzlichkeit, mit Achtung und Ehrfurcht zu begegnen. Sie achten auf einen gottgeweihten Lebensstil, meiden unreifes Verhalten und unmündige Anlehnung, halten Rechnung mit den Neigungen der menschlichen Natur und üben jene Aszese, die das gottgeweihte Leben fordert. Sie helfen sich gegenseitig, ihre jungfräuliche Liebe zu schützen und sie zu einer aufbauenden Kraft für ihre geistliche Familie und für andere Menschen werden zu lassen. Die gegenseitige Ergänzung von gottgeweihten Frauen und Männern soll für viele Menschen ein Zeugnis für das segensreiche Zusammenwirken von Männern und Frauen im Dienst der Kirche sein.
Konst III, 41.

De facto leben im Werk erst seit den 90er Jahren Männer und Frauen zusammen. Damals hatte das Werk noch keine Päpstliche Anerkennung und keine eigene Inkardination. Die ersten Priester waren Diözesanpriester und mussten von ihren Bischöfen für das Werk freigestellt werden. Anfang der 90er gab es zudem schon eine kleine Gruppe Seminaristen, die in Rom studierten, mit dem Ziel Priester des Werkes zu werden. Sie wohnten damals noch nicht mit den Schwestern im selben Haus (die Piccola Casa wäre dafür zu klein gewesen). Erst ab Mitte der 90er gab es das "Collegium Paulinum", in dem dann erstmals Männer und Frauen ständig miteinander lebten. 1999 wurde das Werk in der Diözese Rom anerkannt, 2001 folgte die Päpstliche Anerkennung und damit die eigene Inkardination. Heute leben Männer und Frauen in mindestens fünf Niederlassungen zusammen, wenn auch meistens in verschiedenen Gebäuden, Trakten oder Etagen.


Das Zusammenleben von Männern und Frauen. Das Ideal.

Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen ("männlich" und "weiblich" nach dem Hebräischen Text der Bibel). In ihrer Verschiedenheit bereichern sich die Geschlechter gegenseitig. Das gilt für jeden Bereich des menschlichen Lebens, auch für das geweihte Leben. Auf allen Ebenen des Ordenslebens können Männer und Frauen einander etwas geben: im Gebet, in der Pastoral (besonders in der Familienpastoral), in der täglichen Arbeit usw. Dabei begegnen sie einander mit herzlichem Vertrauen und mit der gebührenden Ehrfurcht, die Menschen gegenüber angemessen ist, die Ehelosigkeit gelobt haben. - Eine Ehrfurcht, die ihre Zusammenarbeit nicht behindert, im Gegenteil, sie trägt und fördert.


Das Zusammenleben von Männer und Frauen. Beobachtungen.

Im obigen Text fällt sofort auf, dass er von warnenden Hinweisen ganz durchzogen ist: unbedingte Voraussetzung ist die "Heilung der ungeregelten Begierden der sündigen Natur", gewarnt wird vor "unreifem Verhalten" und "unmündiger Anlehnung", vor den "Neigungen der menschlichen Natur", die nur durch "jene Aszese, die das gottgeweihte Leben fordert" in den Griff zu kriegen wäre.
Tatsächlich wäre der (von erfahrenen Ordensleuten, Psychologen und Pastoraltheologen wie bspw. Sandra Schneiders oder Wunibald Müller) empfohlene Umgang von Priestern und Ordensleuten mit dem anderen Geschlecht der einer bewussten und reflektierten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit: wer bin ich als Mann/Frau? Was bedeutet es mir Mann/Frau zu sein? Welchen Raum gebe ich meinem Mann-/Frausein in meiner Berufung, in der Begegnung mit anderen, in meiner Arbeit? - Auch als Ordensmann/frau muss man sich zunächst bewusst machen, dass man Mann oder Frau ist und sein darf. Dazu muss man dann Wege finden, in denen das Bedürfnis, als Mann oder Frau geliebt zu sein und lieben zu dürfen auf eine der eigenen Berufung angemessene Weise zum Zuge kommt. Auch der Ordensmann/die Ordensfrau braucht geistig und emotional erfüllende Begegnungen, die die eigene Persönlichkeit (die tief von der Geschlechtlichkeit geprägt ist) berührt und ihre Entwicklung anregt. Die Ehelosigkeit ist der Verzicht auf eine ausschließliche, auf körperliche Vereinigung und Nachkommenschaft angelegte Partnerschaft. Sie ist nicht der Verzicht auf die eigene sexuelle Identität, auf menschliche Liebe und Freundschaft.


Im Werk wird die menschliche Natur nicht als Grundlage, sondern als Hindernis für die geweihte Berufung angesehen. Folgerichtig wird auch sexuelle Identität nicht integriert, sondern so weit wie irgend möglich unterdrückt und von außen kontrolliert. Dies gilt insbesondere bei den Frauen: sie müssen im Werk ihre Weiblichkeit ablegen; die einzig "legitime" Weise des Frauseins liegt nun in der "natürlichen" Neigung zur Hausarbeit. Im Zusammenleben mit den Priestern sind sie in erster Linie eine "Gefahr". Ständig steht die Sorge darum im Raum, dass sie so gekleidet sind und sich so verhalten, dass sie möglichst wenig als Frauen wahrgenommen werden. Es herrscht eine strenge Kleiderordnung: Sie müssen Unterkleider und wadenlange Röcke tragen, Schuhe und Blusen, die oft eine Nummer zu groß sind. Die Haare werden kurz geschnitten oder hochgesteckt.


Die Patres und Brüder müssen mitteilen, sobald sie eine "Versuchung" spüren, weil eine Schwester ihnen sympathisch oder attraktiv erscheint (umgekehrt auch, das kommt aber relativ selten vor). Dann setzt sich eine aufwendige Maschinerie in Gang: der Verantwortliche des betreffenden Bruders setzt sich mit der Verantwortlichen der betreffenden Schwester in Verbindung, ggf. werden noch die international Verantwortlichen informiert. Die "gefährliche" Schwester wird zurechtgewiesen, vermehrt beobachtet, ggf. versetzt, beide werden unter Druck gesetzt - häufig ohne, dass auch nur einer von beiden wirklich etwas im Sinne hatte, die Schwester weiß in der Regel nicht einmal, um wen es denn ging bzw. worum es überhaupt ging, sie erfährt nur, dass sie eingeschüchtert wird. Auch für den Bruder gibt es keine konstruktive Auseinandersetzung mit den dahinter liegenden Gefühlen und Sehnsüchten, vielmehr wird alles daran gesetzt, sie zu zerstören. Sie werden als sündhaft betrachtet.


Dies hat fatale Folgen für die Psyche: Wo diese Ur-Sehnsüchte des Menschen zerstört werden, geraten das Gefühlsleben und die Identität durcheinander und werden verwundet. Die Liebesfähigkeit kann sich nicht entwickeln, man verlernt, sich in andere einzufühlen und miteinander zu kommunizieren; das Selbstvertrauen leidet massiven Schaden. Männer wie Frauen werden in ihrer Identität und in der Begegnung mit anderen Menschen massiv verunsichert und entwickeln dabei verschiedene Bewältigungs- und Vermeidungsstrategien: Rückzug (geduckte Haltung, ausweichender Blick, leise Stimme), Kontroll- und Machtorientierung (der Versuch, den Umgang mit andere zu kontrollieren, ohne Gefühle und Signale verstehen zu müssen, das Bedürfnis, sich durchsetzen zu können, um nicht unterzugehen), Ersatzsuche (vermehrte Identifizierung und "Belohnung" in Nebenbereichen: Putzfimmel, Suche von Freundschaften in der Pastoral, geheime Hobbys). Alle diese Strategien können eine Steigerung bis zum pathologischen Befund erfahren: Depressionen, suizidäres Verhalten, Süchte, Psychosen, Essstörungen, psychosomatische Erkrankungen...


Logischerweise suchen sich die nicht integrierten sexuellen Triebe früher oder später ihre eigenen Wege. Dort, wo keine Sanktionen drohen, wie bspw. im Internet, oder auf der Ebene des Unbewussten, in Phantasien und Gedankenspielen, die das alltägliche anonyme Miteinander überlagern und sich auch von den vielen Kleiderschichten der Schwestern nicht abhalten lassen. Wenn es in dieser Atmosphäre aufgestauter Lust dann tatsächlich zu sexuellen Übergriffen kommt, kann der Täter darauf vertrauen, dass sein Opfer sich scheuen wird, zu sprechen; falls er/sie es doch tut, kann er in jedem Fall darauf vertrauen, dass der Gemeinschaft ihr Image wichtiger ist als seine Bestrafung oder der Schutz der anderen Mitglieder. Ja, Patres, die dafür bekannt sind, dass sie sich nicht immer im Griff haben, sind sogar davor sicher, dass man sie auf derlei Verfehlungen anspricht - die Furcht, es könnte tatsächlich Vorfälle gegeben haben, mit denen sich die Leitung dann befassen und Konsequenzen für den (vielleicht verdienten) Mitbruder zu ziehen hat, ist zu groß. Man will sich nicht damit auseinandersetzen, lieber schickt man Schwestern in Psychotherapie, entlässt sie aus der Gemeinschaft oder zahlt ihren Familien "Schweigegeld".

Führerkult

Eines der Merkmale fundamentalistischer Gruppen ist Personen- oder Führerkult (Beinert: Führer kommt von Gott/ Führergehorsam; Weiß: Beharren auf der Autorität der Führerperson): der Anführer oder Gründer der Gruppe wird in übertriebener oder extremer Weise verehrt, Orte werden nach ihm benannt, Gedenktage werden ihm gewidmet, seine Biographie wird in eine Legende verwandelt, die die Ideologie der Gruppierung bestätigen und verherrlichen soll. Im Unterschied zur Heiligenverehrung ist der "Führer" dabei nicht eine Figur unter vielen, seine Verehrung entsteht nicht spontan, sondern wird bewusst inszeniert oder gar erzwungen, die Deutungshoheit über sein Leben, seine Schriften und Taten obliegt allein ihm selbst bzw. seinen Nachfolgern.

Alle diese Elemente des "Führerkultes" treffen auf Julia Verhaeghe und ihre Verehrung im Werk zu.

Die Präsenz ihres Namens und Bildes: In jedem Haus des Werkes, in dem mehr als vier Personen ständig leben, gibt es ein "Mutter-Julia-Zimmer", in das Besucher geführt werden, um dort "ihre Nähe" zu "erfahren". Vor allen Kapellen des Werkes hängen Bilder Verhaeghes. Jedes Mitglied, das nicht in einem Zentrum des Werkes lebt, muss in seinem Zimmer ein Bild Verhaeghes anbringen. Das Grab Verhaeghes in der Klosterkirche des Mutterhauses in Bregenz wird mit Kerzen und Votivtäfelchen regelrecht zum Wallfahrtsziel inszeniert.

Gedenktage: Der liturgische Kalender des Werkes ist gespickt mit Gedenktagen Verhaeghes, die oft wie Hochfeste begangen werden, das sind im Einzelnen:
18. Januar: am 18.01.1938 soll Verhaeghe eine mystische Vereinigung mit Cyrill Hillewaere erlebt haben, die sie dann den "Gründungstag" des Werkes nannte.
13. Mai: Namenstag Verhaeghes
16. Juli: Verhaeghe verließ an diesem Tag ihr Elternhaus.
29. August: Todestag Verhaeghes.
11. November: Geburtstag Verhaeghes.
13. November: Tauftag Verhaeghes.
Nicht nur diese spezifischen Verhaeghe-Gedenktage sind hier zu nennen, sondern auch die Tatsache, dass die Gedenktage, Feste und Hochfeste des liturgischen Kalenders zu Verhaeghe-Gedenktagen umfunktioniert werden: das Fest der Bekehrung Pauli etwa erinnert ebenso an die "Bekehrung" Verhaeghes als Jugendliche; das Hochfest des Herzens Jesu erinnert an das "Bündnis" Verhaeghes mit dem Herzen Jesu. Propheten-Gedenktage, die es im erneuerten liturgischen Kalender nicht mehr gibt (außer im Patriarchat Jerusalem), werden im Werk dennoch gefeiert, dazu eine Reihe anderer Feste aus dem "alten" Kalender, weil Verhaeghe mit diesen Festen persönliche Erinnerungen verbindet und sie für die von ihr entwickelte Spiritualität wichtig sind: Jesaja als Prophet der Bekehrung (Bekehrung natürlich im Sinne des dualistischen Menschenbildes des Werkes) oder Elia, der die Baalspriester getötet hat (Zeichen seiner Treue zu Gott in gottlosen Zeiten). Dazu kommen einige Gedenktage des von Verhaeghe besonders verehrten Papstes Pius XII. (Geburtstag, Todestag, Bischofsweihe).
Außerdem ist Verhaeghe direkt oder indirekt in allen Gebeten präsent, die die Mitglieder täglich sprechen: das Morgengebet und der Abendsegen sowie beinahe alle Gebete im wöchentlichen Gebetbuch sind aus Zitaten aus ihren Briefen zusammengesetzt, darüberhinaus wird im Abendsegen, im Dankgebet für das Charisma und in anderen direkt dafür gebetet, dass die Mitglieder ihrem Beispiel treu bleiben, sie als Mutter lieben, ihr Andenken bewahren, sich ihrer würdig erweisen etc.

Legendenbildung: Bis vor zehn Jahren gab es überhaupt keine schriftlichen "Quellen" zur Person Verhaeghes. Im Jahr 2005 erschien dann die Teilbiographie "Sie liebte die Kirche. Mutter Julia und die Anfänge der geistlichen Familie 'Das Werk'". Das Buch nennt keinen Verfasser und ist im Eigenverlag erschienen. Es ist eine ganz klare Legendenbildung, die bewusst auf eine lange zurückliegende Zeit verweist (1910 bis 1950) und die gesellschaftlichen Umbrüche der 60er Jahre sowie die Konzils- und Nachkonzilsjahre meidet. Dabei verstarb Verhaeghe erst 1997, und die Gemeinschaft begann 1950 gerade erst so zu existieren. Erzählt wird also hauptsächlich die Kindheit und Jugend Verhaeghes in der Kriegs- und Nachkriegszeit.
Verhaeghe wird im Stil einer Heiligenlegende als Berufene und Auserwählte, Leidende, Sich-Bekehrende, Weise, Inspirierte und Weitsichtige, dargestellt. Jedes Kapitel ihres Lebens ist zugleich ein Wesensmerkmal der Spiritualität des Werkes. Kritik, Differenzierungen, offene Fragen, verschiedene Perspektiven sucht man in diesem Buch vergebens. Verhaeghe wird inszeniert.
Dazu kommt, dass niemandem innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft eine eigene Meinung zu Verhaeghe zugestanden wird. Ihre Texte befinden sich samt und sonders im Privatarchiv des Werkes, zu dem nicht einmal die "normalen" Mitglieder des Werkes Zugang haben. Von dort dringen nur Zitate heraus, die "massentauglich" und der Verehrung Verhaeghes zuträglich sind. Diese werden dafür umso eifriger verbreitet. Wer sie wirklich war, was sie wirklich geschrieben, gedacht und gesagt hat, ist für Mitglieder wie Außenstehende gleichermaßen rätselhaft. Dies umso mehr, als ehemalige Mitglieder aus der damaligen Zeit ihr z. T. massive Vorwürfe machen, zu denen das Werk aber bisher keine Stellung genommen hat.

Inszenierte Verehrung: Das Werk druckt massenweise "Worte" Verhaeges, Novenen und Gebetsbildchen. Seit Jahren werden alle Mitglieder des Werkes dazu aufgefordert "Zeugnisse" über Verhaeghe zu sammeln, also Berichte von Personen, die Erinnerungen an Verhaeghe haben oder sich von ihrer "Lebensgeschichte", ihrer "Person" oder ihren "Worten" angesprochen fühlen. Die Assoziierten des Werkes werden an ihr Grab und in ihr Zimmer geführt, bekommen Vorträge über sie zu hören, müssen sich darüber äußern, was ihnen "Mutter" bedeutet und wie sie ihre "Hilfe" erfahren. Priester des Werkes, die auswärts die Messe feiern und predigen, werden dazu angehalten, in ihren Predigten über Verhaeghe zu sprechen. Fast das gesamte "Apostolat" des Werkes geschieht mit Worten Verhaeghes oder gar mit dem Ziel, Gläubige zu Verhaeghe-Verhehrern zu machen. Dabei hält sich die Zahl selbst derer, die nach gezielter Werbung ein "Zeugnis" geben oder an ihr Grab kommen, sehr in Grenzen. Von "spontaner Verehrung" kann keine Rede sein.

Warum Führerkult gefährlich ist: Wenn der Führer zum letzten Maßstab für dir Moral und das Handeln einer Gemeinschaft wird und noch dazu die Deutungshoheit über die Worte und den Willen des Führers bei diesem selbst oder einer kleinen Gruppe liegt, die die Verantwortung für die Leitung der Gemeinschaft innehat, ist Willkür und Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Mitglieder können sich nicht gegen Beschuldigungen oder Anforderungen wehren, die unter Berufung auf den Führer an sie gerichtet werden. Sie können weder auf andere Maximen rekurrieren, auch nicht auf biblische oder kirchliche, da die Auslegung solcher anderer Maximen wiederum von der Leitung gemäß den Worten Verhaeghes getroffen wird, die unbedingt gelten. Mitglieder des Werkes können sich weder auf Worte Verhaeghes berufen, die sie nicht kennen (der Zugang zu ihren Texten ist streng geregelt) noch auf andere Interpretationsmöglichkeiten ihrer Texte, da allein die Leitung entscheidet, wie die Texte auszulegen sind. So kann unter Berufung auf Verhaeghe schließlich alles mögliche gerechtfertigt und von den Mitgliedern gefordert werden, von der Vorenthaltung medizinischer Versorgung über den erzwungenen Kontaktabbruch zur eigenen Familie bis hin zur Vertuschung von sexuellem Missbrauch.


Schwester im Werk von 1967 bis 1974 - Schluss



Nach und nach beunruhigten mich diese Erfahrungen immer mehr. Ich fing an zu zweifeln. Immer wieder dachte ich auch, ich hätte Unrecht, und es wäre der Teufel, der versuchte, mich ins Wanken zu bringen. Es war mir nicht möglich, mit jemandem darüber zu sprechen. Mit wem denn? Mir wurde klar, dass alle Brücken abgebrochen waren. Würde ich mit meiner Verantwortlichen darüber sprechen, konnte ich mir ausrechnen, was mich erwartete. Und mit einem anderen Mitglied der Gemeinschaft zu sprechen, war noch viel riskanter. Ich merkte ja selbst, wie die ein oder andere ab und zu eine schwierige Phase durchmachte, und versuchte dann, so umsichtig wie möglich mit ihnen umzugehen. Ich wollte ihnen nicht noch mehr schaden... Einen Priester um Rat fragen? Das Werk sortierte alle Priester in zwei Gruppen: die „Guten“, die dem Werk wohlgesinnt waren und zum Teil eingeweiht wurden, und die „Schlechten“, die unbedingt gemieden werden mussten. Außerdem erkannte ich, dass ein Außenstehender das Problem nicht begreifen können würde. Nach und nach realisierte ich, dass ich gefangen war. Ich war verzweifelt. Es gab keinen Ausweg. Ich bräuchte ein vielfaches meiner Kraft: erstens, um meine Aufgaben im Werk weiter wahrzunehmen (und meine Aufgaben als Verantwortliche entsprachen mehr als einer Vollzeit-Stelle), außerdem brauchte ich genug Kraft, um ganz allein mit meinen Zweifeln fertig zu werden, so unerträglich sie werden konnten, und schließlich brauchte ich sehr viel Kraft, um mein „Doppelleben“ durchzuhalten. Ich wusste, dass nichts davon bemerkt werden durfte.



Heute, wo ich weit weg vom Werk bin, ist mir klar, dass es durchaus andere Wege und Möglichkeiten gegeben hätte, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Was ich erfahren habe, war das Resultat von Manipulation, ja von Gehirnwäsche: Man kann beim besten Willen nicht mehr normal denken; der Blick auf die Realität ist durch die jahrelange Beeinflussung völlig getrübt. Er ist von Angst geprägt, die als subtiler Faktor alles mitbestimmt. Mir ist klar geworden, wie sehr Sektenmitglieder mit den Schritten zu kämpfen haben, die sie gehen müssen und bei denen ihnen niemand helfen kann. Auch Selbstmordversuche von Menschen in Sekten oder in religiösen Bewegungen mit sektenähnlichen Praktiken wundern mich nicht. Ich selbst spielte oft mit dem Gedanken in dieser Zeit von Verzweiflung und Aussichtslosigkeit.


Es war August 1974. Da geschah etwas, was so gut wie nie geschah: Mikle Strolz sagte, dass ich eine Woche lang allein in Innsbruck bleiben sollte. Das Werk war emsig mit der Vorbereitung eines Newman-Kongresses in Rom beschäftigt. Die Kontaktadresse für evtl. freiwillige Mithelfer war damals Innsbruck. Ich sollte also da bleiben, um diese Personen aufzunehmen. Damals dachte ich: Das ist die Chance! Ich muss hier weg! Wenn ich es jetzt nicht tue, dann gelingt es nie mehr und dann drehe ich endgültig durch. Was sich damals abspielte ist unmöglich zu beschreiben. Völlig verzweifelt suchte ich Kontakt zu meinen Brüdern. Ich musste eine Telefonnummer finden. Wie macht man das, wenn man sieben Jahre lang nichts mehr voneinander gehört hat? Wahrscheinlich waren sie inzwischen verheiratet, hatten Kinder. Würden sie bereit sein, mir zu helfen? Was sollte ich tun? Nein, besser keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen. Besser, ich suche mir eine Arbeitsstelle irgendwo in Österreich oder Norditalien. Aber ich besaß ja nichts. Ich kannte niemanden. Doch die Telefonnummer suchen? Als ich über die Auskunft eine Nummer bekommen hatte, hörte ich völlig unerwartet, die Stimme meiner Mutter am anderen Ende der Leitung. Ich kann nicht ausdrücken, was da in mir vorging. Mit einem Mal fiel alles von mir ab. Darf ich zurückkommen? Geht das noch? Was würde meine Mutter sagen? Ja, ich durfte zurückkommen, unter der Bedingung, dass ich das Werk definitiv verlassen würde. Da kam die Angst zurück. Ich beschwor meine Mutter, dass sie absolut niemandem sagen durfte, dass ich sie angerufen hatte. Ich konnte ihr nicht erklären, wie das Kontrollsystem des Werkes funktionierte. Ich konnte ihr nicht erklären, dass es in ihrer unmittelbaren Umgebung Priester gab, zu denen sie zwar Vertrauen hatte, die aber das Werk unterstützten. Ich wollte noch drei Tage in Innsbruck bleiben, denn ich fühlte mich dem Werk gegenüber nach wie vor zur Loyalität verpflichtet. Ich wollte meine Aufgaben für den Newman-Kongress erst zu Ende bringen. Die drei Tage wurden mir zur Hölle. Mir kamen Zweifel. Ich wollte doch nicht flüchten. Und ich konnte oder durfte niemandem etwas sagen. Ich hatte Albträume. Was hatte ich getan? Ich hatte das Werk verraten! Nein, nein, ich hatte richtig gehandelt. Ich würde das Auto nehmen und damit nach Berchtesgaden fahren. Von dort wollte ich alle Dokumente mitnehmen, die ich im Lauf der Jahre unterschrieben hatte, damit das Werk mich damit nicht belangen konnte. Es schoss mir durch den Kopf, dass ein normales Mitglied, diese Möglichkeit nicht hatte. Aber ich mit meiner Stellung im Werk konnte alle meine persönlichen Dokumente, meine Zeugnisse usw. mitnehmen.


Als ich wieder in Innsbruck war, kamen die Zweifel wieder. Die Angst. Aber ich konnte nicht mehr zurück. Ich schloss die Buchhaltung gewissenhaft ab. Ich wusste, dass sie mich den anderen Mitgliedern gegenüber als gewissenlose Person hinstellen würden, die mit viel Geld abgehauen war. Dieses Lied hatte ich ja früher schon gehört. Ich nahm keinen Pfennig mehr mit als das Zugticket kostete. Damit niemand mich sehen würde, beschloss ich den Nachtzug zu nehmen. Als ich ging, konnte ich die Hausschlüssel nicht zurücklassen, falls etwas geschehen würde, was mich zum Umkehren zwingen könnte. Als der Zug schon eine weite Strecke in Deutschland zurückgelegt hatte, warf ich die Schlüssel aus dem Fenster. Ich traute mich nicht geradewegs den Zug nach Brüssel zu nehmen. Vielleicht hatten sie meine Flucht bemerkt und erwarteten mich auf einem der Bahnhöfe auf dem Weg? Nach einem großen Umweg durch Deutschland und die Niederlande kam ich schließlich in Belgien an.


So kam ich wieder nach Hause. Trotz dem heftigen Streit vor sieben Jahren hießen sie mich willkommen. Das war meine Rettung. Die Türen standen wieder weit offen. Sie nahmen mich auf ohne Fragen zu stellen. Sie spürten, dass ich in diesem Moment keine Fragen beantworten und nichts erklären konnte. Sie haben mir die Zeit gegeben, die ich brauchte, um diese Erfahrung zu verarbeiten. Sie haben mir die Chance gegeben, alles wieder ins Lot zu bringen. Es waren ungefähr zwei Jahre, die nötig waren, um mich von den schrecklichen Folgen meiner Erfahrungen im Werk zu lösen. Es wundert mich nicht, dass es Menschen gibt, die ihr ganzes Leben lang von solchen Erfahrungen gezeichnet sind. Wie muss es erst Menschen ergehen, die nach mehr als zwanzig Jahren vom Werk „aussortiert“ oder rausgeworfen werden? Wie verarbeiten es Mitglieder, die nach vielen Jahren im Werk zur Ernüchterung kommen? Was tun sie, wenn ihre Eltern, Geschwister oder Bekannten von früher nicht mehr da sind oder nicht bereit, ihnen zu helfen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten?

Schwester im Werk von 1967 bis 1974 - Teil VI



Ich musste erleben, wie Mitglieder, die für die Zwecke des Werkes weniger geeignet zu sein schienen, aufs Abstellgleis befördert, ja manchmal sogar einfach unverfroren „ausgesetzt“ wurden. Als ich 1967 meine Familie verließ, um ins Werk einzutreten, hielt ich es für eine logische Konsequenz, dass ich den Kontakt mit meinen Eltern abbrach, die sich ja gegen das Werk gestellt hatten. Nach einer gewissen Zeit merkte ich aber, dass auch Eltern, die vom Werk begeistert gewesen waren, aufs Abstellgleis befördert wurden. Jeder Außenstehende wurde vom Werk sortiert, und zwar nach einem einzigen Kriterium: wofür können wir diese Person gebrauchen? Es war nur folgerichtig, dass viele dann „nach Gebrauch“ verworfen wurden. Jeder Außenstehende, der versuchte, weiter ins Werk vorzudringen, der es wagte, mehr Fragen zu stellen als andere oder der es sich gar anmaßte Kritik zu äußern, wurde einfach „aussortiert“. Erschütternd war besonders die Art und Weise, in der das Werk mit Mitgliedern umging, die zweifelten oder die sich das „räsonieren, diskutieren und kritisieren“ nicht ausreden ließen. Es ist mir wichtig, hier von einem Vorfall zu berichten, der mich damals sehr beunruhigte.


Lieve Bommerez, das Mädchen, das gemeinsam mit mir in Rom studiert hatte, hatte ich seit meinem Wechsel nach Innsbruck nicht mehr wiedergesehen. Wie die interne Regel es wollte, fragte ich weder nach ihr noch nach sonst jemandem. Natürlich fragte ich mich selbst, wie es ihr wohl ginge und was sie wohl tue. Das schien mir nichts Verwerfliches: unsere gemeinsame Zeit in Rom hatte uns ja doch verbunden. Eines Tages hörte ich im Gespräch mit der Leitung, dass Lieve Bommerez den Platz einer Verantwortlichen in Rom zugewiesen bekommen sollte. Allerdings ginge es ihr nicht so gut... Was genau nicht „gut ging“ wurde nicht näher erklärt. Aber es wurde ihr ziemlich heftig vorgeworfen, dass sie ohne Zustimmung der Leitung Kontakt mit einem Arzt aufgenommen hätte. Einige Wochen später bekam ich einen besonderen Auftrag: Lieve sollte nach Innsbruck kommen und ich sollte dafür sorgen, dass sie „verwöhnt“ wird: ein Einzelzimmer, Leckereien, entspannende Spaziergänge. Außerdem sollte sie so wenig wie möglich Kontakt mit den anderen Schwestern in Innsbruck haben. Als Lieve in Innsbruck ankam, erkannte ich sie nicht wieder. Sie war sehr abgemagert, hatte einen glasigen Blick und alle Lebenslust und Begeisterung waren aus ihr gewichen. Mir wurde gesagt, dass sie völlig „entgleist“ wäre. „Man“ sollte ihr helfen, wieder auf einen guten Weg zurückzufinden. „Man“ – das waren v.a. Strolz und G. Smet, die abwechselnd stundenlange Gespräche mit Lieve führten. Ich durfte keine persönlichen Gespräche mit ihr führen, meine Rolle bestand ausschließlich darin, sie zu „verwöhnen“. Einige Wochen später, war Lieve „gesund“. Mir kam es vor, als wäre sie zum Roboter geworden. Zum ersten Mal bekam ich Angst und nahm mir vor, sicher niemals jemandem meine Zweifel und Bedenken mitzuteilen.


Was ich hier von Lieve erzählt habe, ist kein Einzelfall. Ich wurde zur Zeugin dafür, wie Menschen mit dieser Methode „umgeformt“ wurden. Ich nenne sie die „Warm-Kalt-Behandlung“. Immer wieder kam es vor, dass Mitglieder mit einer Überzahl von Aufträgen überlastet wurden. Alles musste perfekt sein. Da war es nicht verwunderlich, dass dann und wann jemand Ermüdungserscheinungen zeigte. Unterlief dann einmal ein Fehler, gab es Maßregelungen. Nicht selten wurde die betreffende Person dann eine Zeit lang irgendwo isoliert. Ein Fall ist so heftig, dass er beinahe unmöglich erscheint:


Margarete war eine Zeit lang Verantwortliche in Wien. Auch sie hatte Anfang der 70er Jahre eine wichtige Funktion im Werk inne. Sie war oft mit dem Auto unterwegs, um in ganz Österreich und einem Teil von Deutschland Kontakte zu knüpfen und zu pflegen; außerdem begleitete sie junge Menschen in Wien und hatte eine ganze Reihe weiterer täglicher Aufgaben. Als sie sich einmal in Innsbruck aufhielt nahm sie auch „Mutter“ und Strolz im Auto mit. Dabei gab es einen kleinen Zwischenfall mit der Straßenbahn, durch den das Auto leicht beschädigt wurde. „Mutter“ schien aber einige Tage nach diesem Zwischenfall „sehr krank“ zu sein. Sie musste das Bett hüten. Ich musste sogar nachts an ihrem Bett wachen. Nun habe ich keine besonderen medizinischen Kenntnisse und bin kein Arzt und kann mich von daher auch nicht über ihren damaligen Gesundheitszustand aussprechen, meinem Gefühl nach war da aber nichts. Es durfte auch kein Arzt zu Rate gezogen werden, wer auch immer. „Mutter“ blieb wochenlang im Bett. Und ich musste dafür sorgen, dass niemand sonst erfuhr, dass sie in Innsbruck war. In Absprache mit der neuen Verantwortlichen in Rom wurde vorgegeben, „Mutter“ wäre in Rom. Sogar der Arzt, der dann schließlich telefonisch zu Rate gezogen wurde, musste seine Anweisungen nach Rom melden; und von dort aus wurden sie dann nach Innsbruck weitergegeben. „Mutter“ entschied dann selbst, ob der Doktor richtig gelegen hatte und wählte aus einer Liste diejenigen (homöopathischen) Mittel aus, die sie nehmen wollte. Einige Tage später teilten Strolz und Smet mit, dass Margarete „Ruhe braucht“. Sie sollte „irgendwo“ in Deutschland einen neuen Auftrag bekommen. Und wieder bekam ich Angst, wenn ich daran dachte, was mit mir selbst geschehen könnte. – Nun, zwanzig Jahre später habe ich die „Werksversion“ von diesem Vorfall zu hören bekommen. Ein Ex-Mitglied, das vor einiger Zeit das Werk verlassen hat, erzählte mir, dass damals die Geschichte die Runde machte, ein Mitglied des Werkes habe in Innsbruck durch einen Autounfall einen „Anschlag“ auf „Mutter“ verübt. „Gott sei Dank hat die Vorsehung diesen Plan des Teufels vereitelt“ – war der Kommentar gewesen. Ich konnte meinen Ohren nicht glauben!

Nach und nach beunruhigten mich diese Erfahrungen immer mehr...



Fortsetzung hier

Schwester im Werk von 1967 bis 1974 - Teil V


Das Werk schien nun nicht mehr die vom Evangelium inspirierte Gemeinschaft zu sein; sie schienen nicht wirklich so sehr um die „Einheit“ bekümmert zu sein, wie sie jedem vorschwärmten. Ich bemerkte, dass zwei Sprachen gesprochen wurden: zuerst gab es die Sprache, die die Verantwortlichen untereinander sprachen, und dann gab es die, in der sie mit den Mitgliedern sprechen mussten. Ich musste bspw. einmal einer Schwester mitteilen, dass sie „von Gott dazu berufen war“, sich um ältere Menschen und ältere Religiosen zu kümmern: Sie sollte das Evangelium in der Altenpflege verwirklichen und da in aller Stille den Geist des Werkes einfließen lassen. Diese schönen Worte verbargen, dass die Leitung eigentlich nicht wusste, was sie mit dieser Schwester anfangen sollten. Sie war wirklich kein Blitzdenker, sondern eher etwas naiv. Ich bekam den Auftrag, sie doch hin und wieder noch in die Gemeinschaft in Innsbruck zurückkommen zu lassen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der Kontakt zu ihr nach und nach abbrechen würde.


Mir wurde bewusst, dass es im Werk eine Kerngruppe gab, die ganz bewusst Sachen durchsetzten, von denen die Mitglieder keinen blassen Schimmer hatten. Die „Offenheit“, die man aufbringen sollte und die so selbstverständlich vorausgesetzt wurde, schien ausschließlich für die gewöhnlichen Mitgliedern zu gelten, nicht für die Leitung. Ich war z. B. wochenlang damit beschäftigt, eine Wohnung in Berchtesgaden einzurichten, wo alle „Berichte“ der Mitglieder in feuerfesten Behältern aufbewahrt werden sollten. Die Mitglieder, die mit mir in Innsbruck wohnten, durften aber unter keinen Umständen erfahren, wohin ich mich da regelmäßig auf den Weg machte. Später erst fiel mir auf, welchen Symbolwert dieser Ort hatte. Lag unser Archivbunker, mit all den geheimen Informationen über die Mitglieder und viele andere Personen, nicht direkt gegenüber dem Adlerhorst Hitlers?


Ich erlebte, dass immer genug Geld da war, um die Pläne der Leitung zu finanzieren: Telefongespräche, Autofahrten, Porto... es wurde nie zu teuer. Gleichzeitig wurde von den gewöhnlichen Mitgliedern große Sparsamkeit verlangt. Das Projekt einer eigenen Druckerei in Innsbruck, die zu nichts anderem bestimmt war, als die „Worte“ von „Mutter“ zu drucken, verschlang ziemlich große Summen. Was das Papier, die Tinte, die Instanthaltung der Maschinen kostete, spielte dabei keine Rolle. Aber das Budget für die Lebensmittel, die Kleidung und alles, was die Mitglieder benötigten, musste auf ein Minimum heruntergedrückt werden: wir waren ja arm wie das Jesuskind im Stall von Betlehem, nicht? Es wurde mit verschiedenem Maß gemessen. Das merkte ich besonders deutlich während einer der vielen „Krankheitsphasen“ von „Mutter“. Sie war damals in Innsbruck, aber alle mussten im Glauben gehalten werden, sie wäre in Rom. Jeden Tag gab es ein Telefonat mit einem „Doktor“ in Belgien. Die Medikamente, die er per Telefon empfahl, mussten dann zuweilen in München besorgt werden – und das geschah sofort. Zur selben Zeit hatte eines der „normalen“ Mitglieder eine Halsentzündung. Als ich vorschlug, einen Arzt zu Rate zu ziehen, bekam ich von „Mutter“ die liebevolle Antwort: „Lass sie das nur mal aushalten; es ist ganz deutlich eine Versuchung des Teufels, sie muss lernen, ihre Berufung zu verdienen. Ihre Krankheit ist nichts anderes als ein Zeichen ihrer Untreue.“ Damit war es um den schönen Schein getan.


Nun empfand ich noch deutlicher, was mir damals in Villers schon aufgefallen war: es wurde jedes Mal eine gewaltige Energie aufgebracht, wenn ein „Besucher“ ins Haus kam, ganz besonders dann, wenn es um einen einflussreichen Priester, einen Bischof oder sonst jemanden ging, der dem Werk potenziell wohlgesinnt war und irgendwie als Zugang oder Brücke irgendwohin geeignet war, damit die Pläne des Werkes umgesetzt werden konnten. Mir wurde langsam klar, dass nicht Gott einen Plan mit dem Werk in der Kirche hatte, sondern dass das Werk Pläne mit Gott in der Kirche hatte. Und ich erkannte, dass unsere regelmäßigen Berichte die Leitung perfekt in die Lage versetzten, alles und jeden zu kontrollieren. Und wenn es jemand wagte, einem anderen Mitglied gegenüber einmal Zweifel oder Kritik an der Gemeinschaft zu äußern, ging er damit immer zugleich das Risiko ein, dass der andere es in seinem Bericht melden würde. Das war ein erstickendes System. Mir wurde klar, dass die ganze Kraft, das Geld, die Begabungen, die Zeit, - alles, investiert wurde, um die Fassade des Werkes aufzubauen. Was das eigentliche Ziel des Werkes war, war mir aber noch nicht klar... 


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Schwester im Werk von 1967 bis 1974 - Teil IV


Ich verließ Rom. Man sagte mir, dass ich wieder nach Villers kommen sollte. Dort bekam ich eine Aufgabe in der Druckerei. In Villers herrschte eine andere Atmosphäre als in Rom. Die Regionalverantwortliche dort erklärte mir gleich ohne alle Umschweife, dass in Rom eine verkehrte Lebensweise gepflegt worden wäre; die Mitglieder hätten dort zu viel Entspannung gehabt und der Geist des Werkes wäre nicht immer gewahrt worden. Ich fragte nicht, was mit den anderen geschah, die mit mir in Rom studiert hatten – oder mit der Regionalverantwortlichen von Rom. Man sagte mir nur, dass ich dazu „geformt“ werden würde, selbst eine Verantwortliche zu werden. Das erfüllte mich mit Stolz, sodass ich mit doppeltem Eifer ans Werk ging. Und die Regionalverantwortliche ließ mich weiterhin spüren, dass ich auch hier wieder eine bevorrechtigte Stellung einnahm, ich wäre „besonders berufen“, „das verstehen nur wenige“, „du kannst das“.


Immer wieder war ich bei den Gesprächen der Hauptverantwortlichen in Villers zugegen. Der „Rat“ nahm für gewöhnlich die Mahlzeiten nicht gemeinsam mit den normalen Mitgliedern ein. Es war eher selten, dass die „Großen“ einmal am Tische der „Kleinen“ Platz nahmen. Hier nun lernte ich jemanden kennen, der im Werk eine sehr große Rolle spielen sollte: Mikle Strolz (Maria Katharina Strolz). Ich war im Ungewissen darüber, woher sie kam. Auch durfte ich keine Fragen stellen. Eines war aber klar: sie ging nicht den gewöhnlichen Weg der neu Eingetretenen im Werk. Ihre Vertrauensposition bei „Mutter“ war von Anfang an eine ganz besondere. Es lag auf der Hand, dass sie eine Führungsrolle im Werk einnehmen würde. Verantwortliche, die schon viele Jahre Vertraute von „Mutter“ gewesen warn, mussten nun zurück auf den „zweiten Rang“.


Einige Monate später wurde ich als Verantwortliche in Innsbruck eingesetzt. Ich sollte Suzanne de Maesschalck ersetzen. In den Gesprächen der Hauptverantwortlichen war in letzter Zeit viel Kritik an Suzanne laut geworden. Offensichtlich hatte es schon in den Jahren zuvor Schwierigkeiten zwischen ihr und „Mutter“ sowie zwischen ihr und anderen älteren Mitgliedern gegeben. Außerdem hatte ich verstanden, dass sie früher eine wichtige Rolle gespielt hatte und dass sie für das Werk viele Kontakte zu einflussreichen und vermögenden Personen unterhielt. Aber sie passte nicht mehr ins Kader, ja sie war zur Last geworden, anscheinend vor allem für Mikle Strolz. Die Angriffe auf Suzanne wurden in bestimmte Phrasen gekleidet, wie etwa „Sie ist dem Geist des Charismas untreu geworden. Sie hat das Geheimnis des Königs verraten. Sie lebt die Hingabe im Werk nicht mehr“. Obwohl ich nicht genau wusste, worum genau es in diesem Streit zwischen Suzanne und dem Rest der Leitung ging, wurde mir allmählich klar, dass das alles Tarnung war. Tatsache war: Suzanne war im Weg. Sie musste aus ihren Reihen verschwinden. Während meiner Ausbildung im Werk hatte ich viel über die schrecklichen Praktiken kommunistischer Regime lesen müssen. Was ich jetzt erlebte, schien mir aber regelrecht von dort her zu kommen. Was mit Suzanne geschah, war wie aus einem kommunistischen Programmbuch entnommen. Das war die reinste „Säuberung an der Spitze“. Es tat mir leid, weil ich Suzanne immer bewundert hatte. Ich wurde nachdenklich, aber zugleich behielt ich Vertrauen zur Gemeinschaft und setzte mich weiter für sie ein. Die Gemeinschaft in Innsbruck schilderte man mir als einen großen Trümmerhaufen, den Suzanne zurückgelassen hatte. Dort sollte ich alles wieder in Ordnung bringen. Ich sollte die dort arbeitenden Mitglieder begleiten, eine Druckerei auf die Beine bringen und Kontakt mit den Priestern halten, die dem Werk gegenüber wohlgesinnt waren. Außerdem sollte ich Kontakt halten mit den Mitgliedern, die „draußen“ arbeiteten, sie regelmäßig für ein Wochenende oder ein paar Tage einladen, und dafür sorgen, dass sie regelmäßig ihren finanziellen Beitrag leisteten. Ganz besonders sollte ich potenzielle neue Kandidaten betreuen, um zu beweisen, dass ich auch „Mutter“ sein könnte für das Werk. Und ganz selbstverständlich sollte ich alles regelmäßig nach Villers berichten bzw. dorthin, wo die „internationale Leitung“ gerade war. Strolz hatte darin bereits eine zentrale Stellung inne.


Wann genau es geschah, kann ich kaum sagen. Es ist eher das Ergebnis vieler kleiner Vorkommnisse, die mir nach und nach die Augen für die Realität geöffnet haben, in der ich mich befand. Ich kann es kaum beschreiben. Menschen, die das nicht selbst erfahren haben, werde ich es kaum veranschaulichen können: Allmählich wurde ich mir bewusst, in was für einem erstickenden Mechanismus ich gefangen war – ich gemeinsam mit vielen anderen. Vor allem das, was anderen angetan worden ist, hat mir die Augen geöffnet. 


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Noviziat, Ausbildung Formung. Ideal und Realität.


Noviziat, Ausbildung und Formung.


Ideal und Realität.
Das Noviziat im „Werk“ hat zum Ziel, dass die Novizen nach den Prinzipien des „Werkes“ und seiner Spiritualität auf ein Leben in den evangelischen Räten in der Gnade des „Heiligen Bündnisses“ mit dem Herzen Jesu vorbereitet werden. Die Novizen sollen zu jenem Gesinnungswandel hingeführt werden, den der Apostel Paulus mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst. Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12,1-2). Das Wort Noviziat erinnert die Novizen daran, dass sie zu einer umfassenden Bekehrung und Neuwerdung in Christus berufen sind. Durch ihr Streben nach Heiligkeit (vgl. 2 Kor 7,1) tragen sie zur Heiligkeit der Kirche bei.

Die Novizen betrachten die geistliche Familie „Das Werk“ als ihre neue Familie, die sie mehr und mehr lieben sollen (vgl. Mk 3,31-35). Sie müssen bereit sein, in der Kraft des Glaubens ihre bisherige Lebenswelt zu verlassen (vgl. Mk 1,16-20; Lk 9,62), um in ihrer neuen Familie in die Schule Jesu zu gehen, seine Freunde zu werden und für ihre Sendung als Gottgeweihte vorbereitet zu werden. Um des Herrn willen sollen sie Gewohnheiten und Mentalitäten aufgeben, die mit der Nachfolge Christi nicht vereinbar sind.
 - Konst. V, 1 und 3. 


Die Formung im Werk, wie sie hier am Beginn des 5. Kapitels der Konstitutionen beschrieben wird, ist ganz getragen von der Absicht, die neuen Mitglieder im Geiste der Spiritualität des Werkes zu erziehen. Das heißt nicht einfach nur, dass sie eine Ausbildung erhalten oder eine Spiritualität kennenlernen, dass sie in eine neue Lebenswelt eintauchen und lernen, sich in ihr zurechtzufinden und sich in sie einzubringen. Es heißt vielmehr, wie das schon im Pauluszitat aus dem Römerbrief deutlich wird: den Wandel des Denkens. Außerdem eine Bekehrung im Sinne einer "schmerzhaften" Selbstverleugnung, wie das das Zitat Verhaeghes nahelegt, das in der Fußnote zum eben zitierten Text enthalten ist:

Wir leben in einer Mentalität, die bewusst oder unbewusst die Dinge vom Ich aus betrachtet, in einer Mentalität, die das Licht über die Folgen der Ursünde in uns mit allerlei Motiven und beschönigenden Namen trübt. Wenn wir Gott lieben mit unserem ganzen Herzen, mit unserer ganzen Seele und mit allen unseren Kräften (vgl. Dtn 6,5), dann werden wir der heilenden Selbstverleugnung kein Hindernis entgegensetzen, wenn uns auch der läuternde Schmerz nicht erspart bleiben wird; doch dieser gereicht uns zum Heil.
 - Zitat Verhaeghes in der Fußnote zu Konst. V, 3.


Das Noviziat. Das Ideal.

In die Nachfolge Jesu einzutreten und sich zu diesem Zwecke einer Gemeinschaft anzuschließen, die ein eigenes Charisma besitzt, heißt nicht nur einen neuen Lebensabschnitt beginnen, es heißt das eigene Leben von Grund auf neu auszurichten, sich vertrauensvoll und bedingungslos dem Willen Gottes zu überlassen, die Konfrontation mit sich selbst und den eigenen Fehlern und Schwächen nicht zu scheuen und sich gerne zurechtweisen und helfen zu lassen, um dem Ideal der eigenen Berufung immer mehr zu entsprechen, um immer hellhöriger zu werden für den Willen Gottes, um immer sicherer auf dem Weg des geweihten Lebens voranzuschreiten und anderen Menschen immer besser Orientierung geben zu können.

Man wird zu einem anderen Menschen, legt alte Gewohnheiten ab und nimmt neue an, verliert alte Bekanntschaften und macht neue, verliert alte Ansichten und gewinnt neue Einsichten. Man kleidet sich anders, spricht anders, lebt anders, denkt anders - ist anders, man ist ein neuer Mensch geworden. 

Das Noviziat. Beobachtungen.


Zur Skepsis veranlasst hier vielerlei: die Rede vom "Neuen Denken", von der "neuen Familie", von der "umfassenden Bekehrung, von der Pflicht "Gewohnheiten" und "Mentalitäten" aufgeben zu müssen. An und für sich kann all dies vernünftig und angebracht sein. Inwieweit es das ist, hängt aber von den konkreten Umständen ab: ist der Einzelne frei? Ist es er selbst, der sich zu diesem neuen Denken und Leben hinentwickelt oder wird es ihm von außen aufgedrängt? Werden seine Bedenken und Gefühle ernstgenommen? Was genau heißt "neues Denken" und wie kommt man dazu? Welche Gewohnheiten müssen aufgegeben werden? usw. 

So wie die "Formung neuer Mitglieder" im Werk vor sich geht, gleicht sie eher der Umerziehung von Menschen, die in eine Sekte geraten sind. Die Schritte sind dieselben: 

Isolation. Zuerst wird das neue Mitglied von seiner bisherigen Umwelt so weit wie möglich abgeschnitten und isoliert, oft wird es in ein anderes Land verschickt (von Österreich nach Rom, von Deutschland nach England, von Belgien nach Jerusalem); alle "Kontakte" (alte und evtl. neu dazu gewonnene) werden nun von der Gemeinschaft kontrolliert und "besprochen", sodass einige sofort aufgegeben werden müssen und andere nur noch unter bestimmten Bedingungen zugelassen sind; Telefonate mit den Eltern etwa, dürfen nur selten und nur nach vorheriger Nachfrage stattfinden, der Inhalt der Gespräche muss mitgeteilt und Briefe müssen vorgelegt werden. Innerhalb kürzerster Zeit hat das neue Mitglied im Werk keinen freien Zugang zu seiner Familie, Freunden und Bekannten mehr. Die Kontakte werden oberflächlich. Das neue Mitglied ist erfolgreich einzig auf seine "neue Familie" angewiesen, eine andere hat es nicht mehr. Es ist von der Außenwelt isoliert. 

Diese Isolation findet ihre Fortsetzung innerhalb der Gemeinschaft, da persönlicher Austausch zwischen den Mitgliedern nicht möglich ist. Freundschaften und persönliche Gespräche sind verboten. "Öffnen" darf sich das einzelne Mitglied nur gegenüber "seinem" Verantwortlichen. Damit beginnt der nächste Schritt der "Formung":

Manipulation. Dem Verantwortlichen kann das Mitglied nicht nur alles sagen: es muss. Regelmäßige Berichte werden gefordert, wöchentliche, monatliche, jährliche. Über alles, insbesondere über das eigene Innenleben muss Rechenschaft abgelegt werden, ebenso wie über evtl. "Auffälligkeiten" bei anderen - über alles, auch über die Gefühle und Eindrücke des Novizen beansprucht der Verantwortliche Deutungshoheit. Zugleich wird das "Ideal" kommuniziert: der Eliteanspruch, die Bekehrung hin zum "neuen Menschen", die bedingungslose Hingabe, das Vertrauen zu den Verantwortlichen, Askese und Selbstverleugnung, Eifer und Ausdauer beim Arbeiten, Folgsamkeit und "Strahlkraft" - das alles wird erwartet. Wer es nicht schafft, wird gerügt. Jedes neue Mitglied möchte dieses Ideal erfüllen, es strahlt - auch dann, wenn es sich nicht wirklich glücklich fühlt, ist fleißig, auch wenn ihm die Kraft ausgeht, übt Selbstverleugnung z. T. über die Maßen, bringt Vertrauen auf, selbst dann, wenn ihm etwas merkwürdig vorkommt, beschwert sich nicht, auch wenn es sich verletzt fühlt - bis es nicht mehr kann. Dann kommt der nächste Schritt:

Psychischer Druck. Wer nicht mehr kann, wird unter Druck gesetzt. Er glaubt zunächst, dass er selbst Schuld ist, dass es die Erbsünde in ihm ist, seine schlechten Neigungen, seine gefallene Natur. Nicht alle schaffen es, sich von diesem Vorwurf zu befreien und ihre aller normalsten Empfindungen zu verteidigen: Erschöpfung, weil zuviel gearbeitet werden muss; Einsamkeit, weil keine persönlichen Kontakte möglich sind; Verletzung, weil die eigenen Gefühle und Fähigkeiten nicht wahrgenommen werden etc. Die Verantwortlichen lassen das alles nicht gelten, sondern verweisen auf die vermeintlich mangelnde Gottesliebe und Einsatzbereitschaft des Mitgliedes, sie machen Druck, setzen Fristen, drohen mit Vertrauensentzug und zeigen sich enttäuscht. - Manche Menschen brechen an diesem Punkt zusammen und werden aus der Gemeinschaft "geworfen". Andere verlassen die Gemeinschaft. Wer an diesem Punkt den Weg aus der Gemeinschaft nicht findet, wird zu einem gebrochenen Menschen. Er muss damit leben und lässt es zu, dass sein Innerstes ständig von Außen kontrolliert und vergewaltigt wird. Solche Mitglieder "funktionieren" im System der Gemeinschaft, sie lassen sich ohne Rücksicht auf ihre Gefühle, ihre Persönlichkeit und Begabungen hier und dort hin- und her versetzen, lassen sich alles nehmen, alles mit sich machen und tun nie den Mund auf. Zugleich sind sie aber gerade deswegen auch nur begrenzt im Kontakt mit der Außenwelt einsatzfähig, viele arbeiten ausschließlich intern.

Missbrauch. Wer einmal so gebrochen ist, ist kaum mehr in der Lage, sich zu wehren oder überhaupt nur seine eigenen Empfindungen selbst wahrzunehmen. Er hat sein normales Gefühlsleben, sein eigenes Denken und Wollen verloren, hat es abgewöhnt bekommen und findet keine Zugang mehr zu sich selbst, geschweige denn zu anderen. Er weiß nicht, wie er auf andere wirkt, er weiß ja nicht einmal mehr, wie er sich selber fühlt: er hat alle Maßstäbe verloren, weil der einzige Maßstab das Wort seiner Verantwortlichen ist. Deshalb ist dem Einzelnen sein eigener Zustand ab einem bestimmten Punkt auch nicht mehr bewusst. Das heißt: er ist in jeder Hinsicht missbrauchbar. 

Dazu kommt, dass er auch rechtlich völlig ausgeliefert ist: er hat keine Ansprüche gegenüber dem Werk, weil er niemals wirklich endgültig als Mitglied aufgenommen wird (solange noch irgendeine Gefahr besteht, dass er zu sich kommen und die Gemeinschaft verlassen könnte). Dennoch unterzeichnet er jedes Jahr von Neuem, dass er freiwillig in der Gemeinschaft bleiben will, dass er freiwillig seinen ganzen Besitz aufgegeben hat und das Werk alles erben wird, was er jemals evtl. besitzt. Er darf mit niemandem reden, niemand darf mit ihm reden, er darf kein Tagebuch führen und nicht einmal darüber nachdenken, wie er sich fühlt. Alles, was mit ihm geschieht, wird vom Werk gedeutet und erklärt, und er muss die Deutung des Werkes annehmen. Er tut das auch, weil er es so gelernt hat: er hat gelernt, seinen eigenen Wert von der Beurteilung seiner Verantwortlichen abhängig zu machen und nichts anderes mehr zu wollen, als ihnen zu entsprechen, egal, was mit ihm geschieht. - Das ist das Ziel des Noviziates: aus Menschen willenlose Werkzeuge zu machen.