Dieser kurze Text von Verhaeghe zeigt, welches Konzept von "Berufung" im Werk herrscht. Er suggeriert nämlich, dass die Mitglieder des Werkes von Geburt an für das Werk bestimmt sind. Verhaeghe geht also davon aus, dass Gott Menschen für das Werk erschafft, als "Werkzeuge".
Dieser Logik folgend müssen Mitglieder des Werkes Ausschau nach jenen Menschen halten, die ja ohnehin (auch ohne ihr Wissen und Wollen) immer schon für das Werk bestimmt sind. Solche vermeintlich von Gott Berufenen werden in die Zentren des Werkes eingeladen, wo dann die Verantwortlichen des Werkes, die sich kraft ihrer "Standesgnade" als von Gott dazu befähigt halten, das Urteil darüber fällen, ob die betreffende Person eine Berufung hat oder nicht. Dabei ist es tatsächlich irrelevant, ob sie selbst sich berufen fühlt.
Wenn die Leitung des Werkes davon überzeugt ist, dass jemand eine Berufung zum Werk hat, wird er mit allen möglichen Mitteln, in langen Gesprächen, Besuchen und Briefen, mit allen möglichen Argumenten und Aufdringlichkeiten unter Druck gesetzt, seine Berufung "einzusehen" und ins Werk einzutreten. Widersteht er und tritt nicht ein, bleibt er vor weiterer jahrelanger Belästigung nicht sicher. In jedem Fall werden die Mitglieder des Werkes ihm mitteilen, dass er seine Berufung verfehlt, sich damit vor Gott, vor der Kirche und vor sich selbst schuldig macht, nur an sich selbst denkt und unweigerlich ein verfehltes unglückliches Leben haben wird. Auch wo, aus Angst vor der Öffentlichkeit, auf besonderen Druck verzichtet wird, geschieht er dennoch auf subtilere Art und Weise. Die Überzeugung, dass Gott Menschen für das Werk erschafft und es gilt, diese ausfindig zu machen und zu gewinnen, bleibt bestehen und schafft die Grundlage dafür.
Der Text suggeriert sogar noch mehr, nämlich, dass nur Mitglieder des Werkes vor Selbstsucht und dem daraus resultierenden Unglück bewahrt werden (ein Mensch, der nicht ins Werk, sondern in einen andere Gemeinschaft eintritt, kann in den Augen des Werkes auch seine Berufung verfehlt haben). Vor allem aber suggeriert er eines: es ist Selbstsucht, nicht ins Werk einzutreten, umgekehrt setzt ins Werk einzutreten absolute Selbstlosigkeit voraus, irgendwelche Wünsche mitzubringen oder Ansprüche zu stellen, verträgt sich nicht damit, "Werkzeug" im Werk zu sein. Menschen werden hier wie Marionetten in den Händen Gottes betrachtet, was sich mit einem gesunden Gottesbild nicht verträgt. Tatsächlich sind die Mitglieder des Werkes Marionetten in den Händen ihrer Verantwortlichen.
Gott hat uns das Leben hier auf Erden gegeben, damit wir aufgrund der gnadenvollen Vorherbestimmung und Auserwählung zu seinem ‚Werk‘ seine Werkzeuge seien. Er hat uns gerufen, durch unser Leben im Dienst an der Einheit für viele ein Wegweiser zu Christus zu sein. Denn er vermag den Menschen zu erlösen und zu retten, der in Selbstsucht gefangen lebt und so weder den wahren Frieden, der dem Worte Gottes entströmt, noch die wahre Freude kennt.
Julia Verhaeghe