Was will dieser Blog?

Dies ist der Blog ehemaliger Mitglieder des "Werkes". Er enthält Geschichten, Tatsachen und Erfahrungen, die vom "Werk" sorgfältig verschwiegen oder geleugnet werden. Er sei jedem ans Herz gelegt, der mit dem "Werk" in Kontakt kommt.

Schwester im Werk 1952 bis 1968 - Teil III




Von den Ex- Mitgliedern der zweiten Generation, also von denen, die nach uns „fliehen“ konnten, erfuhren wir, dass Mikle Strolz (Maria Katharina Strolz bzw. „Mutter“ Katharina) eine würdige Nachfolgerin Verhaeghes ist. Wir erfuhren von ihnen, dass sie gleichsam in einer Diktatur gelebt hatten. Wir, die schon zehn  Jahre draußen waren, verstanden, dass es so hatte kommen müssen. Uns wurde nun klar, warum „Mutter“ niemals eine geschriebene Regel wollte und warum jeder Versuch, eine Regel zu verfassen misslang. Sie ließ es schlicht und einfach misslingen. Für die Außenwelt war eine Regel aber wichtig, ging es doch darum unter einem Etikett laufen zu können. Ihr war es völlig egal. Heimliche Bewunderung empfand sie dagegen für jeden großen Namen. Vom Geheimdienst Hitlers war sie geradezu besessen. Die „drei Pfeiler“, das „nicht räsonieren, nicht diskutieren, nicht kritisieren“, die 1972 entstanden, waren gewissermaßen aus den Lehren von Lenin, Stalin, Mao und Hitler destilliert.

Die Gründerin gab zu, dass sie Gedankengut von anderen stehlen musste. Sie selbst hat nie studiert. Indem sie aber eine „Berufene“ studieren ließ,  bspw. eine Promotion in Kanonischem Recht oder einer anderen Wissenschaft, konnte sie ihre Auszeichnungen und Bücher für sich beanspruchen. Die Mitglieder mussten mit ihrem Blut unterschreiben, dass sie ihre Abschlüsse nie gebrauchen würden. Es gehörte alles ihr, auch wenn sie nichts davon verstand. Es entsprach ihrer Gewohnheit hier und dort etwas aus anderen Regeln abzukupfern, oder sie bediente sich der Kenntnisse von einem ihrer Mitglieder.

Mikle Strolz setzt diese Praxis fort. Sie wacht über die Mitglieder, die für sie arbeiten. Sie befiehlt ihnen, Berichte über die Priester, Prälaten oder Bischöfe zu schreiben, bei denen sie sie arbeiten lässt.  Alles was sie will, ist zu erfahren, was diese geweihten Männer so alles von sich geben. Jedes Mitglied ist dazu verpflichtet jeden Tag einen Bericht abzufassen über alles, was es hört und sieht. Strolz will wissen, was in den höchsten kirchlichen Kreisen geschieht. Ständig ist sie unterwegs und sucht sich dort, wo sie gerade hinkommt, beliebig ihre Opfer aus. Opfer, das heißt Mitglieder, die stets aus heiterem Himmel einen völlig neuen Auftrag bekommen. Sie lauert auf den Erlös von Heiligtümern und ist auf den Besitz ihrer Mitglieder aus. So saßen sie z. B. bis 1995 am Eingang des Wallfahrtsortes Banneux in Belgien. Frau Strolz braucht nämlich viel Geld: für sich selbst, für ihre Familie und für Schweigegeld. Ein Ex- Mitglied bekam z. B. 200.000 Belgische Franken (das sind umgerechnet ca. 5.000 €) von ihr, damit sie niemandem etwas von ihren Erfahrungen im Werk erzählte. Dabei schöpft sie aus dem, was Mitglieder an Geld und Eigentum mitbringen. Wenn diese etwas nicht schnell und willig genug abgeben, bestraft sie sie, auch indem sie sie für kürzere oder längere Zeit wegsperren lässt. Einige Mitglieder lässt sie sogar für krank erklären und lässt sie endgültig wegschließen. Das wolle sie selbst nicht so, wehrt sie in solche Fällen ab, aber „es liegt in der Familie des Mitgliedes“. Wie muss es erst Mitgliedern ergehen, die nach zwanzig, dreißig Jahren alleine draußen stehen?

Wir begriffen nun auch, warum Mikle die ersten zwanzig Jahre des Werkes unter Verhaeghe vergessen machen wollte. Die ersten Mitschwestern, die tagelang einen Teil Belgiens durchqueren mussten, um Geld für das Werk zu sammeln, wissen auch sehr genau, was mit diesem Geld geschah. In verschiedenen Bistümern gibt es Akten mit Aussagen von Ex- Mitgliedern aus dieser Zeit. Mikle forderte systematisch von den Bistümern alle diese Akten an. Um sie verschwinden zu lassen? Diese Mitschwestern haben wie „Arbeiterameisen“ den Besitz des Werkes finanziert. Einige haben es mit ihrem Leben bezahlt, weil sie auf ihren Sammeltouren solche Entbehrungen in Kauf nehmen mussten. Bei unseren Zusammenkünften erzählten sie, dass damals jeden Montag eine Gruppe von zehn jungen Frauen in verschiedene Richtungen losgezogen ist. Ganz Belgien musste durchquert werden, keine Straße durfte vergessen, kein Haus ausgelassen werden. Und das eine ganze Woche lang. Samstagsnachmittags erwartete man sie mit der aufgetragenen Summe zurück. War noch nicht genug gesammelt, mussten sie noch einmal los, um den fehelenden Betrag in der Umgebung aufzutreiben. Dass die Mitglieder dabei viele Abenteuer und Diskussionen mit der Polizei durchstehen mussten, ließ Verhaeghe kalt. Zudem mussten sie das alles ohne Transportmittel bewältigen. Sie gingen dabei große Risiken ein. Schlafen und Essen wurde auf ein Minimum beschränkt. Sie wussten nie, ob sie am nächsten Abend einen Schlafplatz haben würden. Soviel Liebe und Kraft musste man als Mitglied für die Gemeinschaft übrig haben.
Strolz will diese Zeit ein für alle Mal vergessen machen. Sie erklärt noch immer ungerührt, dass die Mitglieder von alledem nichts verstanden hätten. Sie kann die Ereignisse derart geschickt umdeuten, dass die heutigen Mitglieder Verhaeghe für eine Heilige halten. Außerdem will Mikle mit den älteren Mitgliedern nicht belastet werden, nur die alte „Mutter“ braucht sie noch, um ihren Weg gehen zu können. Sie hat für „Mutters“ Tod bereits alles vorbereitet.

Unsere größte Sorge gilt den Mitgliedern, die immer noch im Werk sind. Es gibt wohl einige, die herauswollen, die aber von ihren Eltern und Geschwistern nicht aufgefangen werden können. Außerdem ist es sehr schwierig, Kontakt zu einem Mitglied des Werkes zu bekommen. Ihr Verhalten kann tatsächlich sehr befremdend und unverständlich sein. Alles, was wir raten können, ist: Wenn Sie ein Familienmitglied im Werk haben, führen Sie ein vernünftiges, erwachsenen Gespräch mit ihm/ihr. Machen Sie niemals Vorwürfe und bleiben Sie immer offen für ihn/sie, wie befremdend das Verhalten auch erscheinen mag. Früher oder später kommen sie doch nach dem Erbe sehen. Oder sie kommen, um für ihr heiliges Werk zu betteln. Nutzen Sie auch diese Gelegenheiten nicht, um sie zu verletzen. Vielleicht haben sie durchaus den Mut, die Gemeinschaft zu verlassen. Machen Sie sich bewusst, dass sie nirgendwohin gehen können. Sie wegzuschicken wäre ganz falsch. Wenn jemand das Werk verlässt, denkt er in der ersten Zeit, dass er ein „Teufel“ ist, der „das Licht verraten hat“. So nennt man das im Werk, mit derlei Sprache werden die Mitglieder indoktriniert und verunsichert. Wir, die Ex-Mitglieder, haben vertrauen gelernt. Wir vertrauen der Vorsehung, nicht durch das Werk, aber durch unsere Familien und Freunde, die uns verstanden und uns aufgefangen haben. Wir sind dankbar für diese Befreiung und wünschen sie von Herzen all jenen, die noch im Werk sind.

Schwester im Werk von 1952 bis 1968 - Teil II


Mit der Hilfe von Freunden und durch Aufklärungsbroschüren über Sekten, erkannten wir Stück für Stück uns selbst im Gehörten und Gelesenen wieder. Vor allem das, was wir über Sekten lasen, beschrieb völlig die Situation, in die wir selbst geraten waren. Das Verhalten von allerlei Gründern und Gurus obskurer Gruppierungen glich haargenau dem Verhalten Verhaeghes. Was jene den Mitgliedern ihrer Sekten angetan hatten, war auch uns angetan worden. Wir waren bestürzt über diese Übereinstimmungen. Das Werk war also in Wirklichkeit nicht mit einem Orden oder einer geistlichen Gemeinschaft zu vergleichen, sondern eher mit einem Geheimbund, einer Sekte.

Wir hatten alle geglaubt, wir wären in eine gute Gemeinschaft eingetreten. Wir wollten wirklich mit unserem ganzen Leben Christus und der Kirche dienen, vor allem Menschen in Not und familiären Sorgen. Wir wollten unseren Glauben vertiefen und uns formen lassen. Nach und nach begriffen wir nun, dass wir missbraucht worden waren, dass wir bei einer Frau gelandet waren, die Rache an der Gesellschaft nehmen wollte, an einer Gesellschaft, von der sie sich von Jugend an gedemütigt gefühlt hatte. Ihre Opfer wählte sie selbst aus. Das waren wir. Wir erkannten in unseren Geschichten, dass diese Frau ihre eigenen Minderwertigkeitsgefühle am Idealismus junger Menschen ausgelassen hat. Wir hatten geglaubt, dass wir durch die Formung in unserer Berufung reifen sollten und wussten nicht, dass es ihre Absicht war, uns zu infantilisieren. Sie brachte es fertig, unseren Willen zu brechen, immer wieder von neuem, bis wir wie Schafe allen ihren Grillen folgten. Wir bekamen keine Ausbildung, sondern wir wurden dressiert. Zum Beispiel mussten wir putzen, wenn eigentlich „geistliche Formung“ auf dem Programm stand, weil wir ja die hohe geistliche Begnadigung von „Mutter“ ohnehin nicht verstehen konnten.

Für ihre besonders Vetrauten hatte sie sich ein besonderes Szenario ausgedacht: sie hatte für sie einen „Geheimplan“ entworfen. Jeder dachte, dass er der einzige war, der diesen „Geheimplan“ kennen durfte. „Mutter“ erzählte uns, dass sie die einzig Auserwählte war, die mit ihrer „kleinen Herde“ die Kirche vor dem Untergang retten sollte. Immer wieder baute sie auch eine große Weltkatastrophe in ihre Erzählung ein. Ihr zufolge war die heutige Kirche auf Abwege geraten. Sie müsste erst von Innen heraus vernichtet werden, um dann wieder ganz neu aufgebaut werden zu können. Dafür opfere sie ihr Leben auf. Darum müsse sie so viel leiden. Erst jetzt vielen uns die Schuppen von den Augen: Diese ganzen mystischen Leidens-Szenen – waren das hysterische Anfälle? Oder konnte sie vielleicht einfach nur gut so tun „als ob“?

Nun wurde uns auch klar, dass „Mutter“ zwar die ganze Zeit von ihren Opfern für ihr Werk und ihre Mitglieder gesprochen hatte, dass es in Wirklichkeit aber wir selbst gewesen waren, die die Opfer gebracht und das Leiden ertragen hatten. Wir mussten die Erniedrigungen ertragen, körperlich und geistig. Jeder von uns erinnerte sich an „Mutters“ Verhalten: sie selbst brauchte immer neue "Kicks", um liebenswürdig bleiben zu können.

Uns alle bewegte dieselbe Frage: Warum wollte Julia Verhaeghe die von ihr ausgewählten jungen Menschen immer um sich haben? Sie verstand es, ihre Worte sorgfältig zu wählen, wenn sie uns ihre „Geheimnisse“ anvertraute. Wir waren wirklich davon überzeugt, dass sie eine schwere Last zu tragen hatte. Nun wissen wir, dass es ein gut inszeniertes Schauspiel war. Sie wollte einfach eine Art Geheimclub gründen, ohne selbst für die Menschen, die sie in ihre Macht gebracht hatte, Verantwortung tragen zu müssen. Jetzt erst begriffen wir, warum sie alle Schriftstücke nur mit dem Buchstaben „M.“ unterschrieb. Jetzt wurde uns erst klar, warum wir Blanko-Unterschriften leisten mussten. So konnte sie ihre Machtgier ausleben. Sie verstand es auch, den Händen von P. Hillewaere kirchliche Vollmacht zu entwinden, sie war raffiniert dabei. Er musste – von ihr aus – jedem Mitglied einschärfen, dass es „Mutter“, und allein ihr, Gehorsam schuldig war. P. Hillewaere war selbst auf sie hereingefallen. Er kannte ihre Beweggründe nicht.

Erst jetzt verstanden wir auch den infantilen Charakter, der bezeichnend war für die Symbolik der Gemeinschaft. Ihr erstes Symbol war die Rose. Später war es die Lilie, danach die Dornenkrone, und noch später kamen die biblischen Namen dazu, die sie den Häusern der Gemeinschaft gab. Derlei Dinge ersetzten die vermeintlich so schwierigen Stunden geistlicher Formung, die Verhaeghes Meinung nach viel zu schwer für uns waren. Wir sollten deshalb auch nicht studieren, sondern arbeiten. Und wir waren selbst schuld daran, dass wir nicht studieren durften, weil wir einfach zu dumm dafür waren. Dabei hatten die meisten von uns vor dem Eintritt erfolgreich studiert. 


Wir erkannten auch, dass sie uns dazu gebracht hatte, uns selber und v.a. unseren Körper zu verachten. Wenn wir wenig aßen und abmagerten war das ein Zeichen dafür, dass wir auf einem guten Weg waren. Krank wurde man einfach nicht. Krankheiten kamen aus der Lauheit oder es waren Versuchungen. Einen Arzt aufzusuchen wäre „weltlich“ gewesen. Stattdessen war ein Tee mit Kräutern aus dem Garten völlig ausreichend. „Mutter“ selbst nahm dagegen regelmäßig die teuerste Alternativmedizin in Anspruch. Der Preis spielte dabei keine Rolle. Das wussten aber nur die, die ihr besonders nah waren, und sie waren davon überzeugt, dass das gerechtfertigt war, weil „Mutter“ ja so schrecklich leiden musste...

Fortsetzung hier

Schwester im Werk von 1952 bis 1968 - Teil I



Im August 1968 wurde ich ernsthaft krank. Sechzehn Jahre lang war ich damals Mitglied des Werkes gewesen und hatte mich voller Idealismus für die Gemeinschaft eingesetzt. Ein Gespräch mit dem Hausarzt meiner Eltern machte mir klar, dass ich mein Leben „radikal ändern“ müsste; „so kann es nicht weitergehen“. Das zielte eindeutig in Richtung des Instituts, dem ich angehörte. Etwas in mir rief mich zur Vernunft und brachte mich zu mir selbst zurück. Ich hatte so vieles ertragen: Warum? Für wen? Ich war ausgenutzt worden und durfte nicht mehr ich selbst sein. Es dürfte mich gar nicht mehr geben. Ich hatte so sehr gelitten, weil meiner Persönlichkeit und meiner Wahrnehmung Gewalt angetan worden war.
Es kostete viel Mut, da herauszutreten, aber eines Tages konnte ich einfach nicht mehr in die Gemeinschaft zurück. Dazu kam, dass ich „unter den Jungen“ nicht mehr erwünscht war. Von Myriam v.I. aus sollte ich mir eine Arbeitsstelle suchen gehen, unterdessen hatte Gabrielle S., ein anderes Mitglied der Gemeinschaft, alle meine persönlichen Dinge weggenommen. Mit Schadenfreude sahen sie dabei zu, wie ich nun ohne irgendetwas wieder von vorne beginnen musste. Ich war damals 40 Jahre alt. Ihre Machtgier stieß mich ab.
In der Gemeinschaft war es damals sehr wichtig, dass man Geld verdiente. Ich war zu diesem Zeitpunkt aber gesundheitlich schon sehr angeschlagen. Jedes Mal, wenn ich meiner Verantwortlichen meine Situation erklären wollte, tat sie so, als würde sie mich nicht verstehen. Schließlich fand ich Arbeit in einer Pfarrei und konnte meine Adresse ändern. Trotzdem verfolgten sie mich: das wenige Geld, das ich verdiente, passte ihnen nicht.
Nun hatte ich auch nach all den Jahren endlich wieder Kontakt zu meinen Eltern aufgenommen. Sie nahmen mich sehr gut auf. Mein Bruder weniger. Auch Kontakt zu Freunden von früher aufzubauen war nicht einfach. Sechzehn Jahre waren vergangen – ich gehörte nirgendwo mehr dazu. Unheimlich war das. Meine Freunde von früher sagten nun, sie hätten es immer schon gewusst, dass mit der Gemeinschaft etwas nicht in Ordnung war. Aber niemand hatte sich getraut, mir etwas zu sagen. Jeder hatte sich anscheinend in der Nähe der „Schwestern“ unwohl gefühlt. Aber niemand hat es gewagt, mit meinen Eltern darüber zu sprechen. Aber alles in allem, war ich nun wieder daheim – und das war eine echte Befreiung für mich.

Die ganzen Jahre hatte ich außerhalb der Gesellschaft gelebt. Ich hatte für mich selbst kein Geld verdient, das hieß: ich hatte nicht „gearbeitet“. Also hatte ich keinen Rentenanspruch aus diesen Arbeitsjahren... Anfangs, gerade wieder in Freiheit, ertappte ich mich ständig dabei, dass ich Furcht hatte, das Leben zu genießen. Genuss durfte nicht sein. Ich musste sozusagen erst wieder laufen und sprechen lernen und erst einmal überhaupt wieder den Mut finden, mich auf die Straße hinaus zu wagen. Alles war so anders. Ich kann kaum ausdrücken, was es für mich bedeutete, wieder „dazuzugehören“. Früher waren alle Kontakte verboten gewesen. Mit niemandem durfte man über sich selbst sprechen, außer mit dem Oberen. Jedes Gespräch musste einen Zweck für das „Werk“ erfüllen. Es dauerte zwei Jahre, bevor die Dinge für mich wieder ihre „Farbe“ zurückbekamen. Zuvor hatte ich alles nur grau gesehen. Mein Leben durfte keinen persönlichen Anstrich haben, gezwungenermaßen. Dieser Zwang musste erst von mir abfallen, bevor ich wieder auf die Straße gehen konnte, ohne zuvor um Erlaubnis zu fragen. Uns war eingebläut worden, dass allein Gehorsam zu wahrer Freiheit führt. Außerdem lebten wir die ganze Zeit beraubt von Nachrichten aus der Welt. Die Fernsehprogramme schienen aus einer anderen Welt zu kommen, dabei war ich es, die aus einer anderen Welt kam.

Damals dachte ich nach und stellte mir selbst viele Fragen. Meine Erfahrungen waren nicht einzigartig. Wo waren die anderen Ex-Mitglieder? Wir haben ja nie erfahren, wohin andere Mitglieder gingen. Zwar wurde uns gesagt, dass der ein oder andere in ein anderes Haus versetzt wurde, von den Betroffenen persönlich hörte ich aber niemals etwas. Was hatten sie den anderen über mich erzählt? Wo dachten sie, dass ich nun wäre? Es mochte sein, dass jetzt hier oder dort vielleicht eine frühere Mitschwester saß, bei dem Gedanken wurde mir mulmig zumute. Ich hatte Arbeit gefunden, im sozialen Bereich, nachdem ich einige andere Arbeitsfelder durchprobiert hatte. Ich stand auf eigenen Beinen. Aber die anderen ließen mich nicht los.

Ich erinnere mich gut, dass ich einmal an einem Himmelfahrtstag – als ich noch im Werk war – sechs Stunden lang von einem Visitator aus dem Bistum Namen-Luxemburg befragt wurde. Er fragte mich, was ich von den Manipulationen im Werk wusste. Es waren tausend Fragen. Damals hatten einige Mitglieder unter sehr schweren Umständen die Gemeinschaft verlassen. Sie hatten im Bistum Doornik eine Klage eingereicht. Das war 1963-64. Erzbischof Himmer von Doornik beschloss, eine Untersuchung einzuleiten und einen Visitator zu ernennen, der alle Mitglieder des Werkes befragen sollte. Ich vermute, dass nur sehr wenige im Werk wirklich wussten, was das Werk eigentlich war. Als wir befragt werden sollten, sagte uns unsere Verantwortliche, es wäre eine Prüfung. Nach dem Gespräch mit dem Visitator wurden wir noch strenger als sonst von den Verantwortlichen im Zaum gehalten. Für die allermeisten Mitglieder war es ganz unmöglich, dem Visitator das zu erzählen, was sie selbst erfahren hatten. Man ist so eingeschnürt, dass es einfach unmöglich ist, irgendetwas über sein eigenes verdrängtes Leben zu sagen. Die Untersuchung brachte also nichts zutage, weil im Vorhinein schon diktiert worden war, was wir sagen sollten.

Der Gedanke ließ mich nicht los, ich könnte – jetzt wo ich draußen war – frühere Mitschwestern wiederfinden. Und ich fand sie: eine, zwei, wieder eine... bis wir eine Gruppe waren, die bezeugen konnte, was uns allen angetan worden war und wie es uns damit nach wie vor geht. Das verarbeitet man nämlich nicht so schnell. Bis 1990 taten wir nichts weiter, als uns unsere Geschichten zu erzählen. Dann spürte ich, dass es allerhöchste Zeit war, etwas zu schreiben.

Die Verschiedenheit der Geschichten und Visionen aller Ex-Mitglieder war erstaunlich. Wir hatten zwar alle dasselbe erlebt. Zugleich hatte aber jeder gleichsam in einer anderen Welt gelebt. Wir wussten nichts von einander, kannten die Persönlichkeit der anderen nicht, obwohl wir uns jeden Tag gesehen hatten. Jeder war voller Schuldgefühle durchs Leben gegangen und hatte mit einer unerklärlichen Angst gekämpft. Es war spürbar, dass die Gehirnwäsche-Methoden Spuren in unserer Psyche hinterlassen hatte. Die Reaktionen aus Familie und Bekanntenkreis verhehlten uns das auch nicht. Überall stießen wir auf Unglauben. Niemand glaubte unsere Geschichten über das, was wir mitgemacht hatten. Wir hörten immer nur, dass wir doch sehr naiv gewesen sein mussten. Niemand konnte uns verstehen. Wir fühlten uns unverstanden, schutz- und hilflos. Wir konnten uns nirgendwo hin wenden. Wir wussten aber, dass das Werk uns Unrecht angetan hatte. Das ließ uns nicht los. Wir hatten Hoffnung, wollten uns einsetzen für die Opfer des Werkes in Gegenwart und Zukunft. Zumindest wir konnten verstehen, was jemand, der da „herauskam“, mitgemacht hatte und wie sie sich fühlte.

Fortsetzung hier

Die Berufenen des Werkes müssen...

In diesem Text formuliert Verhaeghe den Anspruch des Werkes. Die Mitglieder des Werkes betrachten sich damit ganz klar als eine geistliche Elite, die von Gott dazu berufen ist, die Kirche und die Welt, die sich in "der Finsternis eines um sich greifenden Heidentums" befindet, wieder zu einem gottgefälligen Leben zu führen.

Das Heidentum, das Verhaeghe bekämpfen will, besteht in einem "blinden, unbeherrschten Egoismus", den sie an anderer Stelle mit den Menschenrechten, mit dem Feminismus, mit Demokratie, Pluralismus, Wissenschaft, modernem Wohlstand und neuen (nicht religiös fundierten) ethischen Standards in Verbindung bringt, kurz mit dem komplexen Lebensstil der postmodernen Gesellschaft, der sich am Menschen und nicht mehr an Gott oder einer irgendwie gearteten übernatürlichen Ordnung orientiert. Ein Umstand, von dem Verhaeghe und ihre Anhänger sich zutiefst verunsichert zeigen, sodass sie sich dazu berufen fühlen, gegen diese Entwicklung anzugehen, um "alles in allem wieder auszurichten auf das Lob und die Ehre Gottes".


Jene, die ins ‚Werk‘ gerufen sind, müssen Menschen sein, in denen das lebendige Verhältnis zu Gott alles andere durchdringt, beseelt und ihm einen höheren Sinn gibt,

Menschen, die nach Jesu Vorbild durchglüht sind vom Verlangen nach dem Königreich Gottes,

Menschen, die durch ihr Leben Jesu Worte in der Welt lebendig werden lassen, die das ‚Licht der Welt‘, das ‚Salz der Erde‘ sind, der ‚Sauerteig, der alles durchwirkt‘,

Menschen, die inmitten der verwirrenden Vielfalt einer Welt, die sich von Gott abwendet, dazu einladen, aus der Finsternis eines um sich greifenden Heidentums herauszutreten, eines Heidentums, das die Menschheit mehr und mehr zum Sklaven ihres blinden, unbeherrschten Egoismus macht,

Menschen, die eine Einladung sind, indem sie den echten Glauben verwirklichen, der eins macht und Gottes Bild in seiner ursprünglichen Reinheit wieder erkennen lässt. Menschen, die einladend aufrufen durch ihren feurigen Einsatz für den Auftrag, der sie kraft ihrer Berufung zu diesem Dienst an der Einheit auffordert, alles in allem wieder auszurichten auf das Lob und die Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.


Julia Verhaeghe

Der vereinsamte Kern in der Kirche

Dieser kurze Text Verhaeghes offenbart den Anspruch, den das Werk an sich selbst hat. Es sieht sich in der Rolle einer Elite, die von Gott dazu erwählt ist, den "vereinsamten Kern" derjenigen zu sammeln, die noch treu am Gesetz Gottes festhalten, um die Kirche neu zu beleben.

Damit wird implizit gesagt, dass nur noch sehr wenige Menschen wirklich nach dem Willen Gottes leben, auch in der Kirche, dass die Kirche also nicht mehr lebendig ist, und dass es außer dem Werk niemanden mehr gibt, der diese Situation zum Guten wenden könnte. Das Werk lebt im Anspruch, diesen besonderen Auftrag von Gott empfangen zu haben: die letzten Getreuen aus der ganzen Welt zusammenzuführen, um eine neue Kirche zu schaffen. Dazu fühlt die Gemeinschaft sich von Gott gesandt und aus diesem Sendungsbewusstsein heraus, versucht sie auch Einfluss auf hohe kirchliche und weltliche Amtsträger zu bekommen.



Christi lebendige Gegenwart in seinem Mystischen Leib, der Kirche von heute,
erwartet von uns, den Berufenen im ‚Werk‘, 
dass wir uns überall in der Welt in seinem Namen einsetzen, 
um den vereinsamten Kern zu versammeln 
und den suchenden Berufenen eine Einladung zu sein, 
auf dass sein ‚Werk‘ neues und kraftvolles Leben für die Kirche hervorbringe 
als eine bleibende Frucht des Lebens, Leidens und Todes Christi, 
seiner Erlösung, die sich unaufhörlich in den Seinen erneuert.

Julia Verhaeghe

Der Leidensweg Jesu damals und heute


Dieser Text ist eine innerhalb des Werkes gut bekannte von Verhaeghe verfasste Betrachtung über das Leiden Jesu, in der sie darauf abzielt die moderne Gesellschaftsordnung als gottlos darzustellen. 
Nachdem sie zunächst festhält, dass Jesu Lebensstil Widerspruch in seiner Zeit erfuhr, und damit implizit sagt, dass nur diejenigen, die auch in unserer Zeit Widerspruch erfahren (wie sie und das Werk) authentische Nachfolger Jesu sind, bemüht sie sich verschiedene "Geisteshaltungen" auszumachen, die zur Verurteilung Jesu geführt haben und die heute wie in allen Zeiten existieren. Dazu gehören Hochmut, Eigenliebe, Selbstsucht etc. Untugenden, die für Verhaeghe eine große Rolle spielen, weil sie sich ihrer Meinung nach in der Kirche ausgebreitet haben, in der kaum noch jemand auf die Gesetze Gottes hören will, Untugenden, die sie darum den Mitgliedern ihrer Gemeinschaft mit Stumpf und Stiel aus dem Herzen reißen will. Zu den "Haltungen", die zur Verurteilung Jesu geführt haben, gehören aber auch menschliche Kooperation, (säkulares) staatliches Recht, öffentliche Meinung und demokratische Normen. 

In diesem Text sagt Verhaeghe sehr vieles indirekt, was sie direkt nur in Texten ausdrückt, die so streng unter Verschluss gehalten werden, dass man praktisch nicht an sie herankommt.



Die Lehre und der Lebensstil des Meisters hatten einen Inhalt, der vielen – vor allem jenen, die eine hohe Stellung innehatten – eine Anklage war; und dies wegen der Forderungen, die im Gegensatz zu ihrer Mentalität in ihrem Denken und Handeln standen. Das war das große Ärgernis, das die Gefangennahme und den Verlauf des Prozesses Jesu kennzeichnen sollte.

Verschiedene Tatsachen, Ausdrucks- und Handlungsweisen widerspiegeln den Geist, oder besser: die Geisteshaltung, in der der Prozess gegen den Herrn Jesus verlaufen sollte, der zu seinem Tod führte.

Hochmut, Eigenliebe, Selbstsucht, Eitelkeit und Oberflächlichkeit sind die Grundzüge und vorherrschenden Elemente, die menschliches Verständnis und den Sinn für Verantwortung im Menschen in allen Ständen und Gesellschaftsschichten verdunkeln und untergraben, sowohl zur Zeit Jesu als auch in unseren Tagen. Nur die Ausdrucksformen haben sich den Normen der Zeit angepasst, die Grundzüge und wesentlichen Haltungen sind dieselben geblieben: das Wuchern der Neigungen und Wurzeln der Erbsünde im Menschen, die ihn zum Gemeinen, zur Vernichtung und in den Tod treiben…

Dies trifft auch auf das Volk Gottes zu, das sich weigert, Gott, seine Lebensgesetze und seine Gebote anzuerkennen und Ihm zu dienen, denn auch dieses (abtrünnige) Volk will seine ichgerichtete Mentalität und seine sündigen Neigungen nicht ablegen.

Eine kleine Schar folgte ihm damals … und heute? Hat sich dieses Gottesvolk geändert? Ist diese kleine Herde in der Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte größer geworden? Wie steht es mit jenen, die berufen sind, ihm auf dem Weg der Bekehrung und Versöhnung enger nachzufolgen, mit jenen, die auserwählt sind, mit ihm das lebensspendende Kreuz der Erlösung zu tragen und seinen Mystischen Leib, die Kirche, zu bilden?

Die Ereignisse in unseren Tagen und die Zeichen der Zeit geben uns eine überdeutliche Antwort …, sofern wir Ohren haben zu hören, Augen zu sehen, einen Mund um zu sprechen, Hände zum Handeln und Füße, um dem Meister auf dem Weg zu folgen, auf dem Er uns vorangegangen ist, damit wir im Glauben seine Gegenwart erkennen und bereit seien, ihm zu dienen.

Folgen wir nun der Gefangennahme unseres Herrn Jesus und dem Verlauf seines Prozesses:

Einer der Zwölf – einer seiner engsten Mitarbeiter – geht hin, um mit den Hohenpriestern und dem Hohen Rat zu verhandeln, um mit ihnen eine Übereinkunft zu treffen, wie er ihnen Jesus, seinen Meister, ausliefern könnte, … und sie freuten sich über das Angebot des Jüngers. Sie vereinbarten, ihm Geld zu geben, und sicherten Ihm ihre Unterstützung zu. Unter diesen Bedingungen schlossen sie gemeinsam ihren Kompromiss. Von da an waren beide Seiten eifrig am Werk: Der Jünger, der Mitarbeiter des Herrn, suchte die günstigste Gelegenheit, ihn so unauffällig wie möglich, ohne Volksauflauf, ihren Händen auszuliefern. Die andere Partei bemühte sich unterdessen darum, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Von diesem Zeitpunkt an sind alle Mittel gut und gerechtfertigt:

- Der Kuss, das Zeichen der Freundschaft, wird zum Zeichen des Verrates;

- Pilatus und Herodes, die zuvor miteinander verfeindet waren, söhnen sich aus;

- Die gesetzliche Autorität wird anerkannt; Kollegialität und Brüderlichkeit werden formell geübt;

- Gesetzliche Anschuldigungen und Anklagen werden vorgebracht: er wiegelt das Volk gegen das Gesetz auf; er erkennt die Autorität nicht an; Er lästert Gott!

- Als Folge der Beeinflussung der öffentlichen Meinung verlangt das Volk aufgrund der zahlreichen Anschuldigungen, die gegen Jesus vorgebracht worden sind, seine Verurteilung zum Tode.

- Nach demokratischen Normen stellt die gesetzliche Autorität das Volk vor die Wahl zwischen Jesus und Barabbas, einem bekannten Verbrecher.

- Obwohl das Verhör die Unschuld Jesu herausstellt, wir die Strafe der Geißelung über ihn verhängt.

- Pilatus, der Richter, der von seiner Frau noch gewarnt wird, bestätigt siebenmal, dass er keine Schuld an Jesus finde; doch Verleumdung, Kritik, falsche Beschuldigungen, üble Nachrede, Verdächtigungen, usw. …kurz: die Sünde … haben ihr Werk vollbracht. Pilatus und das Volk sind im Netz der Interpretationen und Manipulationen derer gefangen, die sich im Interesse am Tod Jesu verbündet haben. Mit Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe zum Mitmenschen ist es bei den Anführern vorbei. Aufgehetzt durch ihre Verblendung und ihren Hass, vollziehen die Richter und das Volk den Gottesmord.

Sie ließen das Grab Jesu versiegeln und bewachen. Nach der erwiesenen Auferstehung des Herrn bestachen sie die Wächter erneut, damit diese ein falsches Zeugnis ablegten. Ohne eine Mahnung oder einen Tadel befürchten zu müssen, konnten sie berichten, was sie gesehen hatten, während sie schliefen. Ja, sie konnten sagen, sie hätten ihren Auftrag gemeinsam so gut erfüllt, dass sie gerade dann alle zusammen schliefen, als die Jünger kamen, den Leichnam zu stehlen.

Für alle Komplizen im Prozess Jesu

- Bedurfte es keiner Berichtigung;

- Gab es kein Gesetz, nach dem sie ihre Tat zu verantworten hatten;

- Gab es keine Verurteilung offenkundiger Fehlhandlungen von seiten der beteiligten Parteien, von Fehlhandlungen, die offensichtliche keine solchen waren, sondern vielmehr ein langsames Anwachsen der Sünde und Untreue bei Judas, das sich mit der sündhaften Mentalität der Gesetzgeber und Autoritätsträger des Volkes verband.

Dieses Zusammenwirken bot den Beteiligten, die sich innerlich gestört fühlten, die günstige Gelegenheit, in einem Kompromiss ihrer Unzufriedenheit und ihren selbstsüchtigen Berechnungen Raum zu geben und so gemeinsam ihre sündhaften Motive durch Manipulation und Interpretation auf ihre Umgebung und auf Außenstehende zu übertragen. Diese ließen ihrerseits ihre sündigen und ungeordneten Begierden nach Haben und Sein zusammenströmen im Dienste des Teufels, der den Gottesmord plante.

Nachdem wir in dieser Fastenzeit das Leiden und die Hingabe des Herrn mit größerer Sammlung betrachtet und sie im Geiste wahrer Buße und Sühne in unser Leben aufgenommen haben, wurde uns der tiefe Sinn und hohe Wert des Leidens klarer bewusst; wir haben tiefer eingesehen, wie ernst wir die Selbstverleugnung nehmen müssen, die der Herr von seinen Jüngern und von allen, die ihm nachfolgen wollen, verlangt als eine absolute Bedingung, um ihm näherkommen zu können durch das Licht der Gnade, das sein Leben für uns und alle Menschen in seiner barmherzigen Liebe in sich birgt. Als das Wort des Vaters und als Ausdruck ihrer gegenseitigen Liebe im Heiligen Geist brachte er uns diese barmherzige Liebe als Mittel der Heiligung und des Heiles.

Im Lichte unserer Berufung haben wir in diesen Tagen klarer erkannt, was die ‚drei Pfeiler‘ als Wegweiser zu bedeuten haben, damit wir zu dieser Bekehrung und Fügsamkeit gelangen, die uns fähig machen, dem Herrn zu folgen und seinen Belangen in aufrichtiger und von Herzen kommender Liebe zu dienen, die nichts für sich selbst zurückbehält oder erstrebt, sondern durch Einsatz und wachsames Gebet für viele den Weg bahnen und den Suchenden ein Licht sein will.

Wir sind uns im Klaren darüber, wie viele Irrlichter uns umgeben, wie viele verlockende Einladungen der Welt uns auf Wege des Erfolges führen wollen, wie viele Gefahren uns von allen Seiten umringen und uns heimtückische Kompromisse anbieten, die durch Interpretationen und Manipulationen uns geschickt scheinbar Gutes und Scheintugend vorspiegeln und dem Verrat am Heiligen großzügige Unterstützung versprechen.

Das Gebet, die praktische Übung der Wachsamkeit und Abtötung, die wir uns in dieser Fastenzeit mit größerem Eifer auferlegt haben, gewährten uns eine tiefere Einsicht in das Wesen der Sünde und in ihre Folgen.

Wir sahen sie vom Leiden des Herrn her, von seinem Prozess, seiner Gefangennahme und seiner Verurteilung zum Tode – und auch von den konkreten Situationen her, mit denen wir täglich konfrontiert sind und die uns die Zeichen der Zeit widerspiegeln.

Alle diese Erfahrungen sollen unser Herz öffnen, damit wir

- Unser ‚Heiliges Bündnis‘ besser und treuer im Leben verwirklichen;

- Zeugnis geben von der Osterfreude in der Kraft der Gnaden, die wir in solch überfließendem Maße empfangen durften.

Es sei uns eine heilige Pflicht, diese Freude über unsere Auferstehung im Herrn Jesus, unserem Erlöser und Heiland, wie Sonnenlicht auszustrahlen, damit er von den Menschen besser erkannt und mehr geliebt werde und damit in unserer Welt und unter unseren Zeitgenossen weniger Leid und Dunkelheit herrsche.



Julia Verhaeghe in der Passionswoche 1975

Der Quälteufel

Dieser Text ist streng geheim und wird nur einzelnen Mitgliedern unter bestimmten Umständen leihweise übergeben. Meist geschieht das, um Mitglieder, die ins Räsonieren gekommen sind, also dazu neigen, ihrem eigenen Verstand zu vertrauen und damit Anordnungen der Leitung oder Prinzipien des Werkes in Frage zu stellen, wieder "auf Spur" zu bringen. Sehr wahrscheinlich hat Verhaeghe diesen Text auch aus einer solchen Situation heraus geschrieben. Er soll solchen Mitgliedern klar machen, dass ihr Bedürfnis, die Dinge zu überdenken und in Frage zu stellen eine Versuchung des Teufels ist, der sie damit nur unnötig quält. Sie sollten sich also nicht versuchen lassen, sondern lieber vertrauensvoll und ohne zu fragen der Führung des Werkes überlassen, und nicht mehr darüber nachdenken, denn unser menschlicher Verstand ist viel zu klein, um sich anmaßen zu können, die Anordnungen Gottes zu begreifen...

Damit gesteht Verhaeghe - wie das im Übrigen für Das Werk typisch ist - dem Teufel eine Machtfülle zu, die er nach traditioneller Lehre der katholischen Kirche (ganz zu schweigen von entsprechenden Forschungen renommierter Exegeten und Dogmatiker der Gegenwart), gar nicht hat. Um es zugespitzt zu sagen: Sie benutzt den "Teufel", um ihre Mitglieder zu manipulieren.


Der Teufel weiß, dass jeder von uns sehr schwach ist wegen diesem zu menschlichen Denken, dem zu hochmütigen Streben, dem zu relativen und ich-gerichteten Urteilen und Fühlen, vor allem wenn es um uns selbst geht. Er kennt in jedem von uns die Bereiche, in denen wir besonders sensibel für die vorhandene oder fehlende Perfektion nach eigenen Maßstäben sind. Er weiß um unsere Schwierigkeit, Fehler und Mängel anzunehmen und zu bekennen. Er kennt die Erziehung, den Charakter und das Temperament von jedem. Er weiß, dass wir in Extremen denken, er kennt unseren Individualismus und unsere Schwierigkeit, die Komplementarität zu leben und einander in der Vervollkommnung unserer verwundeten Natur nach den Weisungen des Wortes Gottes zu ergänzen.

Er kennt auch unser ehrliches Streben in der Gnade und unsere Glaubenshaltung und weiß, dass er nicht überall dazwischenkommen kann. Er kennt die Kraft unseres Heiligen Bündnisses, unsere Einheit und unsere Sühne. Doch er hört nicht auf, zu suchen, wo für ihn eine Tür oder ein Spalt offen steht und wo er durch die eine oder andere Schwachheit mit seinen Quälereien eindringen kann.

Wenn wir mit gläubiger Haltung, mit Gottvertrauen, in Selbstverleugnung und Demut mit unseren Grenzen und Fehlern umgehen, dann behält das Licht Gottes die Oberhand, und der Quälteufel hat keine Macht und keinen Zugang. Durch Anbetung, Standfestigkeit und die Treue zu den drei Pfeilern können wir über die Schlucht der Schwachheit, des analytischen Denkens, des Missverständnisses und des Missgeschickes, der Versuchung und Bedrängnis springen und dem Teufel, seinen Einflüsterungen und seiner Saat die Tür schließen.

Wenn wir nur mit einem geschwächten Glauben, mit Räsonieren und mit der Analyse des natürlichen Verstandes mit unseren Grenzen und Fehlern umgehen, dann findet der Quälteufel den gewünschten Boden an und kann seine Quälereien aussäen. Er beeinflusst weiterhin unsere Gedanken und entstellt, verschlimmert oder verharmlost Situationen. Seine Lügen und Halbwahrheiten und die bittere Kenntnis des eifersüchtigen Engels des Lichtes fügt er unseren relativen Wahrheiten hinzu. Mit seinem Scheinwerfer wirft er ein anderes Licht auf die Wirklichkeit.

Der Quälteufel hat ein großes Archiv von aufbewahrten Ereignissen und Vorfällen. Er bewahrt sie auf bis zur Stunde der Versuchung, in der er seine Archive öffnet und Beweise liefert. Er ist Geist, und vermischt das, was in seinem Geist ist, mit dem, was in unserem Geist ist. So schafft er ein scheinbar wahrheitsgetreues Bild von der Wirklichkeit, um den Menschen in relativen Wahrheiten zu fesseln.

Julia Verhaeghe, Auszug aus „Quälteufel 1994“ – Kap. II.

Vater aller Güte und Barmherzigkeit


Vater aller Güte und Barmherzigkeit


In diesem Text, der am Beginn des Herrlichkeitsbüchleins steht, formuliert Verhaeghe den Anspruch an sich selbst. Sie sieht sich als die von Gott erwählte Führerin einer neuen geistlichen Elite, die eine erneuerte Kirche heraufführen soll. Diese Elite hat Gott Verhaeghe anvertraut. Darum weiß sie sich auch berechtigt bzw. verpflichtet von den ihr "Anvertrauten" "die vollständige Hingabe"zu fordern. 

Je dramatischer die Lage, desto mehr erfordert sie. Da nach der Meinung Verhaeghes die Kirche schon so stark vom "Zeitgeist" durchdrungen ist, dass sie im Todeskampf liegt, musste sie auch von den Mitgliedern ihrer Gemeinschaft restlose Hingabe verlangen, um diesen Todeskampf aufzuhalten. Das hieß in der Praxis, dass sie als die "erwählte Führerin" uneingeschränkte Macht über die Mitglieder des Werkes hatte. Nach dem Tod Verhaeghes besteht dieses Sendungsbewusstsein in der Gemeinschaft weiter; es führt nach wie vor dazu, dass von den Mitgliedern um der Rettung der Kirche willen, alles verlangt werden kann, und dass im Werk angesichts der Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft eine beständige Panik aufrecht erhalten wird, die zu einem blinden und übersteigerten Selbstbewusstsein führt, das teils rätselhafte teils gefährliche Blüten treibt, in jedem Fall aber eine Realitätsverweigerung darstellt, die langfristig ernste Konsequenzen für die Psyche der Mitglieder hat.



Vater aller Güte und Barmherzigkeit, inständig bitte ich dich für jene, die du mir anvertraut hast. Lass nicht zu, dass auch nur einer aus ihnen verlorengehe oder sich von deinem Herzen entferne, von jenem Herzen, das schmerzhaft durchbohrt wurde aus Liebe zu jenen, die du erwählt hast, damit sie ganz und ohne jeden Vorbehalt dein eigen seien.

Lass niemals zu, dass ich sie durch Fehler und Schwäche lähme oder vernachlässige. Ich will für sie einzig und allein das gefügige und treue Werkzeug deines heiligen Willens sein. Unter jenen, die du in dein „Werk“ gerufen hast, will ich meine Sendung vollbringen und in deinem Namen die vollständige Hingabe in deinem königlichen Dienst fordern.

Ich bitte dich vertrauensvoll, Vater der Güte und der unendlichen Barmherzigkeit, nimm mit Wohlgefallen in deinen göttlichen Plan auf die Armut und die Unfähigkeit, die ich angesichts dieser Verantwortung empfinde, damit alles Gnade werde für deine Geliebten, alles fruchtbar sei, sodass sie dich anbeten und deinen Namen verherrlichen auf Erden.

O Maria, meine Mutter, Du Mutter der reinen Liebe und der göttlichen Gnade, sei meine Fürsprecherin und stehe mir bei in diesem erhabenen Auftrag.

Julia Verhaeghe