Ich musste erleben, wie Mitglieder, die für die Zwecke des Werkes weniger geeignet zu sein schienen, aufs Abstellgleis befördert, ja manchmal sogar einfach unverfroren „ausgesetzt“ wurden. Als ich 1967 meine Familie verließ, um ins Werk einzutreten, hielt ich es für eine logische Konsequenz, dass ich den Kontakt mit meinen Eltern abbrach, die sich ja gegen das Werk gestellt hatten. Nach einer gewissen Zeit merkte ich aber, dass auch Eltern, die vom Werk begeistert gewesen waren, aufs Abstellgleis befördert wurden. Jeder Außenstehende wurde vom Werk sortiert, und zwar nach einem einzigen Kriterium: wofür können wir diese Person gebrauchen? Es war nur folgerichtig, dass viele dann „nach Gebrauch“ verworfen wurden. Jeder Außenstehende, der versuchte, weiter ins Werk vorzudringen, der es wagte, mehr Fragen zu stellen als andere oder der es sich gar anmaßte Kritik zu äußern, wurde einfach „aussortiert“. Erschütternd war besonders die Art und Weise, in der das Werk mit Mitgliedern umging, die zweifelten oder die sich das „räsonieren, diskutieren und kritisieren“ nicht ausreden ließen. Es ist mir wichtig, hier von einem Vorfall zu berichten, der mich damals sehr beunruhigte.
Lieve Bommerez, das Mädchen, das gemeinsam mit mir in Rom studiert hatte, hatte ich seit meinem Wechsel nach Innsbruck nicht mehr wiedergesehen. Wie die interne Regel es wollte, fragte ich weder nach ihr noch nach sonst jemandem. Natürlich fragte ich mich selbst, wie es ihr wohl ginge und was sie wohl tue. Das schien mir nichts Verwerfliches: unsere gemeinsame Zeit in Rom hatte uns ja doch verbunden. Eines Tages hörte ich im Gespräch mit der Leitung, dass Lieve Bommerez den Platz einer Verantwortlichen in Rom zugewiesen bekommen sollte. Allerdings ginge es ihr nicht so gut... Was genau nicht „gut ging“ wurde nicht näher erklärt. Aber es wurde ihr ziemlich heftig vorgeworfen, dass sie ohne Zustimmung der Leitung Kontakt mit einem Arzt aufgenommen hätte. Einige Wochen später bekam ich einen besonderen Auftrag: Lieve sollte nach Innsbruck kommen und ich sollte dafür sorgen, dass sie „verwöhnt“ wird: ein Einzelzimmer, Leckereien, entspannende Spaziergänge. Außerdem sollte sie so wenig wie möglich Kontakt mit den anderen Schwestern in Innsbruck haben. Als Lieve in Innsbruck ankam, erkannte ich sie nicht wieder. Sie war sehr abgemagert, hatte einen glasigen Blick und alle Lebenslust und Begeisterung waren aus ihr gewichen. Mir wurde gesagt, dass sie völlig „entgleist“ wäre. „Man“ sollte ihr helfen, wieder auf einen guten Weg zurückzufinden. „Man“ – das waren v.a. Strolz und G. Smet, die abwechselnd stundenlange Gespräche mit Lieve führten. Ich durfte keine persönlichen Gespräche mit ihr führen, meine Rolle bestand ausschließlich darin, sie zu „verwöhnen“. Einige Wochen später, war Lieve „gesund“. Mir kam es vor, als wäre sie zum Roboter geworden. Zum ersten Mal bekam ich Angst und nahm mir vor, sicher niemals jemandem meine Zweifel und Bedenken mitzuteilen.
Was ich hier von Lieve erzählt habe, ist kein Einzelfall. Ich wurde zur Zeugin dafür, wie Menschen mit dieser Methode „umgeformt“ wurden. Ich nenne sie die „Warm-Kalt-Behandlung“. Immer wieder kam es vor, dass Mitglieder mit einer Überzahl von Aufträgen überlastet wurden. Alles musste perfekt sein. Da war es nicht verwunderlich, dass dann und wann jemand Ermüdungserscheinungen zeigte. Unterlief dann einmal ein Fehler, gab es Maßregelungen. Nicht selten wurde die betreffende Person dann eine Zeit lang irgendwo isoliert. Ein Fall ist so heftig, dass er beinahe unmöglich erscheint:
Margarete war eine Zeit lang Verantwortliche in Wien. Auch sie hatte Anfang der 70er Jahre eine wichtige Funktion im Werk inne. Sie war oft mit dem Auto unterwegs, um in ganz Österreich und einem Teil von Deutschland Kontakte zu knüpfen und zu pflegen; außerdem begleitete sie junge Menschen in Wien und hatte eine ganze Reihe weiterer täglicher Aufgaben. Als sie sich einmal in Innsbruck aufhielt nahm sie auch „Mutter“ und Strolz im Auto mit. Dabei gab es einen kleinen Zwischenfall mit der Straßenbahn, durch den das Auto leicht beschädigt wurde. „Mutter“ schien aber einige Tage nach diesem Zwischenfall „sehr krank“ zu sein. Sie musste das Bett hüten. Ich musste sogar nachts an ihrem Bett wachen. Nun habe ich keine besonderen medizinischen Kenntnisse und bin kein Arzt und kann mich von daher auch nicht über ihren damaligen Gesundheitszustand aussprechen, meinem Gefühl nach war da aber nichts. Es durfte auch kein Arzt zu Rate gezogen werden, wer auch immer. „Mutter“ blieb wochenlang im Bett. Und ich musste dafür sorgen, dass niemand sonst erfuhr, dass sie in Innsbruck war. In Absprache mit der neuen Verantwortlichen in Rom wurde vorgegeben, „Mutter“ wäre in Rom. Sogar der Arzt, der dann schließlich telefonisch zu Rate gezogen wurde, musste seine Anweisungen nach Rom melden; und von dort aus wurden sie dann nach Innsbruck weitergegeben. „Mutter“ entschied dann selbst, ob der Doktor richtig gelegen hatte und wählte aus einer Liste diejenigen (homöopathischen) Mittel aus, die sie nehmen wollte. Einige Tage später teilten Strolz und Smet mit, dass Margarete „Ruhe braucht“. Sie sollte „irgendwo“ in Deutschland einen neuen Auftrag bekommen. Und wieder bekam ich Angst, wenn ich daran dachte, was mit mir selbst geschehen könnte. – Nun, zwanzig Jahre später habe ich die „Werksversion“ von diesem Vorfall zu hören bekommen. Ein Ex-Mitglied, das vor einiger Zeit das Werk verlassen hat, erzählte mir, dass damals die Geschichte die Runde machte, ein Mitglied des Werkes habe in Innsbruck durch einen Autounfall einen „Anschlag“ auf „Mutter“ verübt. „Gott sei Dank hat die Vorsehung diesen Plan des Teufels vereitelt“ – war der Kommentar gewesen. Ich konnte meinen Ohren nicht glauben!
Nach und nach beunruhigten mich diese Erfahrungen immer mehr...
Fortsetzung hier
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