Was will dieser Blog?

Dies ist der Blog ehemaliger Mitglieder des "Werkes". Er enthält Geschichten, Tatsachen und Erfahrungen, die vom "Werk" sorgfältig verschwiegen oder geleugnet werden. Er sei jedem ans Herz gelegt, der mit dem "Werk" in Kontakt kommt.

Apostolische Visitation beendet

Die Apostolische Visitation des "Werkes" ist Mitte Dezember 2014 abgeschlossen worden. Die Ordenskongregation wird demnächst auf der Grundlage der vorliegenden Dokumente entscheiden, ob und welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Eine amtliche Bekanntmachung der Entscheidungen wird es vermutlich nicht geben.

Sexueller Missbrauch von Minderjährigen im Werk

Priester J. Corstjens missbrauchte immer wieder junge Mädchen. Er lud sie zu Einkehrtagen im "Werk" ein und nutzte die Gelegenheit, Mädchen zu vergewaltigen. Immer wieder betäubte er sie zu diesem Zweck. Dabei genoss er das Vertrauen der Eltern der Mädchen. Die Leitung der Gemeinschaft hat zu diesen Vorfällen keine Stellung genommen.

Apostolische Visitation in Kürze beendet

Im Sommer 2012 haben einige Ex-Mitglieder des "Werkes" ihre Erfahrungen während ihrer Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens mitgeteilt. Daraufhin wurde im Herbst desselben Jahres vom Heiligen Stuhl eine Apostolische Visitation angeordnet, d. h. eine außerordentliche Untersuchung durch einen Sonderbeauftragten des Papstes "zur Feststellung und Behebung von Mängeln" (LKR 997). Es handelte sich hierbei nicht um eine routinemäßige Angelegenheit, sondern um eine außerordentliche Untersuchung aus gegebenem Anlass.

Inzwischen hat der Visitator die Gemeinschaft gründlich untersucht und sich Zeit genommen mit beinahe allen Mitgliedern des "Werkes" in verschiedenen Ländern persönlich zu sprechen. Darüberhinaus hat er auch Ex- Mitglieder getroffen und ihnen ausführlich zugehört. Das von ihm gesammelte Material hat er in einem Bericht zusammengefasst und der Religiosenkongregation übergeben. Es obliegt nun der Kongregation Maßnahmen im Blick auf das "Werk" zu treffen. Sobald die Kongregation ihre Entscheidungen fällt, ist die Visitation abgeschlossen.

Aufgrund der rezenten medialen Aufmerksamkeit haben sich weitere Ex-Mitglieder gemeldet, die bisher noch keinen Kontakt mit dem Visitator hatten. Auch ihre Erfahrungen werden nun an die Kongregation weitergeleitet und fließen noch in die laufende Visitation mit ein.


Beitrag über "Das Werk" im ORF

Am Sonntag, den 9. November wird in der Sendung "Orientierung" ein Beitrag über "Das Werk" ausgestrahlt. Unter anderem sprechen dort zwei ehemalige Mitglieder der Gemeinschaft über ihre Erfahrungen. Ein Priester des Werkes nimmt zu den Vorwürfen Stellung.

Warum hast du dich nicht gewehrt?

Wer aus dem Werk (oder ähnlichen Gruppen) ausgetreten ist und seine Erfahrungen aufarbeitet, bekommt oft eines zu hören: Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum bist du nicht früher gegangen? Der Einzelne fragt sich das vor allem selbst: warum habe ich mir das alles solange gefallen lassen? Warum habe ich ihnen vertraut?

Grundregeln sozialer Interaktion ausgehebelt


Auf diese Frage gibt es keine leicht nachzuvollziehende Antwort. Der Grund dafür, dass es beinahe unmöglich ist, sich aus diesen Gruppen zu befreien, auch und gerade dann, wenn sie einem schaden, liegt darin, dass grundlegende Regeln sozialer Interaktion in Gruppen wie dem Werk ausgehebelt sind.

Dazu gehören insbesondere persönliche Freiheiten, wie: die Legitimität eigener Ziele, die Artikulation eigener Wahrnehmung, freie Kommunikation und persönliche Beziehungen, Denk- und Redefreiheit. - Aber auch so grundlegende Dinge wie Besitz, Selbstorganisation, Freizeit. In gesunden Verhältnissen sind diese Freiheiten selbstverständlich vorausgesetzt und (weitgehend) gewährleistet. Im Werk gibt es sie nicht. Das wird allerdings nicht direkt formuliert (sonst würde ja niemand dort eintreten und kaum jemand das Werk verteidigen), sondern es gibt eine spirituelle Umdeutung, eine Ideologie, die diese Entrechtung und Abhängigkeit des Einzelnen verschleiert.

M. a. W.: Im Werk herrscht eine eigene Logik. Es herrschen andere Ideale, andere Gesetze, andere Mechanismen, die alle die Opfer rechtfertigen, die das einzelne Mitglied bringen muss, die Kritik an der Leitung unmöglich machen, die Widerstand nicht aufkommen lassen.

Praktisch bedeutet das: das einzelne Mitglied hat so gut wie keine Möglichkeit, sich zu wehren, wenn ihm direkt oder indirekt geschadet wird.

Ein Beispiel


Ein Beispiel kann das verdeutlichen: eine junge Schwester, die eine hervorragende Matura abgelegt hat und gerade erst eingetreten ist, arbeitet seit ihrem Eintritt täglich zehn Stunden in der Küche, unterbrochen nur von Mahlzeiten (bei denen sie "ausschöpfen" muss) und den Gebetszeiten, zu denen sie auf kürzestem Wege von der Küche in die Kapelle gerade noch rechtzeitig kommt, um hinterher direkt wieder in die Küche zurückzueilen. Sie ist ständig übermüdet, hat keine freie Zeit (außer die Sonntagnachmittage, an denen sie mit den anderen Schwestern geistliche Vorträge hören muss) und fast keinen Kontakt zu ihrer Familie mehr.

Warum wehrt sie sich nicht? Wie könnte sie sich wehren?

1. Sie wird sich nicht wehren, weil sie gar nicht merkt, dass ihr Unrecht geschieht.
Sie ist glücklich. Sie denkt nicht daran, dass ihr Leben als Schwester anders aussehen könnte bzw. müsste. Manchmal vermisst sie vielleicht ihre Familie. Aber sie wischt jeden negativen Gedanken sofort weg. Ihr Vertrauen in ihre Verantwortlichen ist vollkommen. Ihr Bewusstsein, sich Gott ganz hingeschenkt zu haben, berauscht sie. Sie glaubt an das Ideal der "bedingungslosen Hingabe" und weiß sich, weil sie alles hingegeben hat, besonders von Gott geliebt. - Sie denkt nicht im Traum daran, dass ihre "Verantwortlichen" Pflichten ihr gegenüber verletzten, dass sie ein Recht auf Urlaub und auf eine ihren Begabungen entsprechende Ausbildung hat. Sie unterscheidet nicht zwischen dem Willen Gottes und dem Willen ihrer Verantwortlichen. Sie hat schon mit ihrem Eintritt alle eigenen Ziele und Überlegungen aufgegeben. Kurz: Sie ist bereits dabei, grundlegende soziale Kompetenzen zu verlieren: sie identifiziert sich so vollständig mit der Gruppe, dass sie ihre eigenen Emotionen nicht mehr richtig wahrnimmt und ausdrückt (Müdigkeit/Erschöpfung, Sehnsucht nach ihren Eltern).

2. Sie wird gut behandelt.
Vielleicht spürt sie doch, dass sie übermüdet ist und teilt das ihrer Verantwortlichen mit. Ihre Verantwortliche reagiert "verständnisvoll" und erlaubt ihr, am nächsten Tag bis um 6:30 "auszuschlafen". Sie ist dankbar (der klitzekleine Gedanke, dass "ausschlafen bis um 6:30" lächerlich ist, dringt kaum bis in ihr Bewusstsein vor - das würde sie niemals über die Lippen bringen). Ihre Mitschwestern, die tapfer "durcharbeiten" können, erscheinen ihr nun noch bewundernswerter. Sie will keinesfalls hinter ihnen zurückbleiben, sondern sich und vor allem ihrer Verantwortlichen beweisen, dass sie genauso hingabebereit sein kann. Ihr wahres Glück besteht schließlich darin, eine "gute Schwester" zu sein. Wenn die Müdigkeit bleibt, wird sie um jede Stunde mehr Schlaf extra nachfragen müssen. Das wäre ihr zu peinlich... und tatsächlich: sie fühlt sich bald nicht mehr so müde! Tatsächlich bleibt ihre Erschöpfung bestehen, sie spürt sie aber nicht mehr. Sie hat den Kontakt zur ihren eigenen Emotionen verloren.

3. Sie wird vertröstet.
Vielleicht denkt sie aber auch, dass sie nicht dafür Matura gemacht hat, um dann Tag für Tag in der Küche zu stehen. Und vielleicht traut sie sich sogar, ihrer Verantwortlichen diesen Gedanken mitzuteilen. Und tatsächlich: ihre Verantwortliche reagiert auch jetzt "verständnisvoll": Wir wissen, dass du sehr begabt bist und du kannst sicher sein, dass wir deine Begabung brauchen. Gott hat Großes mit dir vor. Betrachte deine Arbeit in der Küche als Vorbereitung auf deine zukünftigen Aufgaben. - Vielleicht traut sie sich sogar zu fragen, wann sie denn etwas anderes tun darf und was. Dann wird sie als Antwort bekommen: das wissen wir selbst noch nicht, aber Gott wird es zu seiner Zeit zeigen. - Damit ist sie zufrieden. Gott selbst und dass er durch die Verantwortlichen spricht, kann sie nicht in Frage stellen, denn das ist die Grundlage ihrer Berufung.

4. Sie muss noch viel lernen.
Vielleicht ist sie aber noch viel selbstbewusster und sagt ihrer Verantwortlichen nicht nur, dass sie übermüdet ist und für andere Aufgaben besser geeignet wäre, sondern wundert sich auch, dass sie überhaupt in die Küche gesteckt worden ist und wagt es, direkt nachzufragen, warum und wie lange noch. Wenn sie eine erfahrene Verantwortliche hat, wird die auch jetzt noch "verständnisvoll" reagieren (obwohl sie beunruhigt sein wird). Ihr wird dann signalisiert, dass es normal ist, dass sie das jetzt empfindet, sie ist ja auch gerade erst eingetreten und muss noch viel lernen. Das geweihte Leben bedeute bedingungslose Hingabe und nur in dem Maß, in dem man seine eigenen Wünsche bereit ist aufzugeben, wird man darin glücklich. Solche Dinge wie Müdigkeit, Erholung, Matura, Begabungen treten dahinter zurück, sie werden relativ. Dass sie glaubt, wegen ihrer Matura nicht in der Küche stehen zu sollen, verrät nicht nur mangelnde Demut, sondern vor allem rein menschliches Denken  (und wer weiß, wenn sie sich bewährt hat, könne man ihr ja in Zukunft durchaus andere Aufgaben anvertrauen). Auch in der Küche geschehe im Verborgenen Großes und Gott könne man nur an dem Platz dienen, an den er einen stellt. Allein Gott dienen mache wahrhaft glücklich alles andere ist Schein-Glück etc. - Wenn sie ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber ihrer Verantwortlichen hat und es sich mit ihr nicht verscherzen will, wenn sie an ihre eigene Berufung glaubt, wird sie sich vermutlich zumindest vorerst darauf einlassen, es wenigstens zu probieren, ihre "eigenen Wünsche und Gedanken" aufzugeben. Kurz: sie riskiert, eine grundlegende soziale Kompetenz zu verlieren: eigene Ziele zu verfolgen.

5. Sie muss sich bekehren/ wird vom Teufel versucht/ist eine Gefahr für Das Werk.
Vielleicht geht sie aber auch ganz anders vor und teilt ihre Zweifel nicht der Verantwortlichen mit, sondern spricht mit jemand anderem darüber, mit einer Mitschwester, ihren Eltern oder Freunden von früher. Die Mitschwester wird sich diesem Kommunikationsversuch verweigern und sie mehr oder weniger streng ermahnend an ihre Verantwortliche verweisen. Ihre Eltern und Freunde werden schockiert sein. Alle möglichen Ansprechpartner werden sich aber höchstwahrscheinlich an die Leitung des Werkes wenden, in jedem Fall wird ihre Verantwortliche erfahren, dass sie mit Dritten gesprochen hat. Nun ist ihre Verantwortliche alarmiert. Sie reagiert nicht mehr verständnisvoll, sondern irritiert. Ja, sie ist von der Schwester enttäuscht, die so wenig Vertrauen zeigt. Wenn sie nicht lerne, sich an die Grundregeln des Gemeinschaftslebens zu halten (von denen die erste ist, dass man Zweifel nur mit dem persönlichen Verantwortlichen bespricht), dann könne sie auf Dauer nicht im Werk bleiben und man müsse sie wegschicken. Damit setze sie ihre eigene Berufung aufs Spiel, die für sie der einzige Weg zu Gott und damit zum Glück ist. Ob sie denn nicht merkt, dass es der Teufel war, der sie zu diesem Verhalten verführt hat, weil er ihre Gottesbeziehung zerstören will? Alles, was ihre Berufung im Werk gefährdet, zerstört auch ihr Glück. - Solange sie das glaubt, wird sie sich kaum wehren können, im Gegenteil: sie wird erschrocken sein, weil ihr nicht bewusst war, was für einen schrecklichen Fehler sie gemacht hat. In Zukunft wird sie alle Fragen allein mit ihrer Verantwortlichen besprechen. Sie will ihr Lebensglück nicht aufs Spiel setzen.

Die einzige Möglichkeit: das Ganze in Frage zu stellen.


Wie könnte sich jemand im Werk also wehren? Im Grunde besitzt er nur eine einzige Möglichkeit, nämlich die Zurückweisung des gesamten ideologischen Überbaus. Dies stellt einen unmöglichen Kraftakt dar. Jeder hat schließlich einen Grund, aus dem er eingetreten ist. Und je mehr man dafür aufgegeben hat, je mehr gefühlt davon abhängt, dass man diese Berufung hat und sie verwirklichen kann, desto unmöglicher ist es, sie in Frage zu stellen.

Es gibt eine ganze Reihe Mitglieder im Werk, die große Zweifel an der Leitung der Gemeinschaft, an der Kompetenz ihrer persönlichen Verantwortlichen, an der Spiritualität und dem Selbstverständnis des Werkes hegen. Auch wenn die meisten nur kleine Einblicke in die Leidensgeschichten ihrer Mitbrüder und Mitschwestern haben und längst nicht das ganze Ausmaß der Verantwortungslosigkeit ihrer Leitung kennen. Aber kaum einer wird ernsthaft an seiner Berufung und am "Charisma" des Werkes zweifeln. Sie bleiben, weil sie glauben, dass Gott will, dass sie im Werk sind und weil sie hoffen, dass das Werk sich zum Besseren verändern kann.

Dieser Glaube an die eigene Berufung und an das "Charisma" des Werkes ist absolut unangreifbar. Die Frage, ob Gott mich vielleicht zu etwas anderem berufen haben könnte, und mehr noch die Frage, ob das Charisma wirklich "die Antwort Gottes auf die Not unserer Zeit" ist, sind tabu. - Oft auch noch Jahre nach dem Austritt.


Wie schafft man es, zu gehen?


Die Loslösung vom Werk hängt nicht davon ab, dass man zuerst den Glauben an das Werk ganz aufgibt. Das ist - wie oben beschrieben - praktisch unmöglich. Vielmehr sind vom Werk unabhängige Referenzpunkte die Bedingung für eine Loslösung vom Werk. Nur wenn es "da draußen" noch etwas oder jemanden gibt, zu dem das Mitglied Vertrauen fassen kann, kann die ideologische Käseglocke durchbrochen werden und der Einzelne seine Freiheit wiedererlangen.

Solche Referenzpunkte sind in erster Linie Menschen, aber auch Medien und Orte, die als Träger einer "heilsamen Atmosphäre" einen Hintergrund bilden, vor dem das eigene Leben im Werk überhaupt erst als bedrückend erfahren werden kann. Diese Referenzpunkte müssen sich ihrer Rolle für die Emanzipation des Mitgliedes nicht bewusst sein. Es ist sogar besser, wenn sie nicht aktiv versuchen, das Mitglied vom Werk zu lösen (das könnte es als beängstigend empfinden und sich erneut manipuliert fühlen). Es genügt, wenn sie da sind und dem Mitglied ein anderes Lebensgefühl vermitteln. Wichtig ist, dass es selbst Subjekt seiner Befreiung wird, und Ansprechpartner da sind, sobald es selbst beginnt über seine Erfahrungen im Werk und einen möglichen Austritt zu sprechen.

Sobald der Austritt ernsthaft erwogen wird, braucht das Mitglied aktive Unterstützung von außen. Es benötigt eine möglichst sichere und unaufgeregte Umgebung für die allererste Zeit nach dem Austritt und eine gute Alternative für ein "Leben danach", eine berufliche Option, finanzielle Sicherheit und vor allem ein soziales Netz, das es auffangen kann. Ein "guter" und sicherer Ausstieg ermöglicht eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Zeit im Werk, eine relativ rasche Wiederaneignung von sozialen Schlüsselkompetenzen und Selbstsicherheit und den Wiedereinstieg in ein "normales" selbstbestimmtes Leben. Gott sei Dank schaffen auch viele, die diese Hilfe nicht in dem eigentlich benötigten Umfang zu Verfügung haben, diesen Übergang. Wir hoffen aber, dass alle, die den Mut haben, sich aus dem Werk und ähnlichen Gemeinschaften zu befreien, die Hilfe finden, die sie brauchen. Denken Sie dabei auch an Ansprechpartner, die wir auf unserer Linkliste anführen.









Brief eines Verantwortlichen an einen Novizen

Wer in Das Werk eintritt, bekommt eine/n Verantwortliche/n als persönliche Begleitperson an die Seite gestellt. Äußere Leitung und geistliche Begleitung verwischen. Als Novize ist man ganz auf diese eine Person orientiert, schreibt ihr Berichte, beantwortet ihre Fragen, legt das eigene Innenleben offen und gehorcht ihren Anweisungen, immer im Glauben, dadurch die eigene Berufung besser kennenzulernen und im geistlichen Leben zu "wachsen".

Tatsächlich ist die Ausbildung und Begleitung im Werk sehr manipulativ. Im Fokus stehen nicht die Persönlichkeit, die echten Probleme und Begabungen des einzelnen Novizen, sondern allen werden dieselben vermeintlichen Probleme aufgedrängt, v.a. eines, das "zu menschliche Denken" (der Verstoß gegen das Prinzip der drei Pfeiler). Für alle gilt das eine Ziel: dem eigenen Denken und der eigenen Wahrnehmung misstrauen lernen, um bedingungslos der Leitung des Werkes zu vertrauen und vor keinem Opfer zurückzuschrecken.

Gleich mit welcher Frage, mit welchem Problem, mit welcher Erfahrung der einzelne Novize sich an seinen Verantwortlichen wendet, er wird immer dasselbe zu hören bekommen: du denkst noch zu menschlich, vertraue uns und tu, was wir dir sagen, bringe Opfer, sei leidensbereit und gib dich bedingungslos hin, dann wird alles gut. Dabei wird er auf die Bündnisgnade und andere Begriffe aus dem Hausjargon verwiesen.

Ein Beispiel für diese manipulative Strategie ist ein in vieler Hinsicht völlig gewöhnlicher und typischer Brief, wie Mitglieder des Werkes sie ständig von ihren Verantwortlichen erhalten (man beachte Satzbau und Orthographie):


Lieber fr. ...!

Es drängt mich, auf diese Weise noch das Eine oder andere zu unserem Gespräch von der vergangenen Woche hinzuzufügen.

Der Christ ist zu grossem berufen. In und durch Christus vermag der die "Welt zu besiegen" (Joh 16). ...  Nun bist Du durch die Bündnisgnade unter anderem auf den Punkt hingeführt worden, Deine Vorstellungen über das WIE grosses zu vollbringen läutern und reinigen zu lassen. ... Das ist eine not-wendende Läuterung, damit Du von den all zu menschlichen Vorstellungen darüber erlöst werden kannst. Ich meine damit das Wirken Gottes, das das, was gut in diesen Vorstellungen war, bewahrt und entwickelt und das, was nicht seinem Plan entspricht, auszuschneiden oder umformen zu lassen.

Lass es jetzt einfach geschehen. Aus der wahren Armut wird die zu Grossem fähig machende HOFFNUNG geboren. Das gehört zum Herzstück unserer Berufung.

Was Deine Sicht auf die Situation von Kirche und Welt angeht möchte ich nur hinzufügen, dass die Verantwortlichen fast durch die Bank das kennen, von dem Du gesprochen hast. Das macht tiefer "eins".

Du hast Dich in den vergangenen Jahren bemüht, Dich abzuhärten, damit Du für den Kampf gewaffnet bist, soweit dies menschlich möglich ist, die richtigen Vorkehrungen zu treffen. Anbei ist ein Text von Mutter [Anm. d. Red.: es handelt sich um Absterben], der in sehr deutlicher Sprache die hohen Forderungen ausspricht, um sich im guten Kampf auf eine höhere Stufe desselben vorzubereiten. Meditiere diesen Text. Ich würde mich freuen, wenn Du mir im Februar den einen oder anderen Punkt aus dem Text nennen könntest, den Du in Deinem Leben und "Training" aufgenommen hast. Es geht hier um die tiefe Läuterung der Sinneswelt, über die wir vieles in und aus der Welt aufnehmen.

Ich wünsche Dir eine gesegnete Prüfungszeit.

Im "Heiligen Bündnis", der Quelle all dessen, was wir brauchen, um die Berufung leben zu können, vereint

P. ...


Absterben

Viele Texte Verhaeghes dokumentieren ihr dualistisches Welt- und Menschenbild. Sie unterscheidet zwischen dem "rein Menschlichen" und dem "Übernatürlichen". Nur Letzteres führt zu Gott, alles Menschliche dagegen führt von Gott weg, ja mehr noch: es wird zum Einfallstor des Teufels.

Der folgende "Brief von Mutter Julia an eine Mitschwester von 1946 oder 1947", der bis heute als "Betrachtungstext" für die Mitglieder der Gemeinschaft verwendet wird, veranschaulicht diese Maxime mit einer erschreckenden Detailliertheit. Was bleibt von einem Menschen übrig, der diese Anweisungen befolgt? Wer sich selbst derart abgestorben ist wird dadurch Gott nicht näher kommen. Er wird vielmehr zu einem willenlosen Werkzeug in der Hand Verhaghes bzw. ihrer Nachfolger(innen). Die "Liebe", die das Ergebnis einer solchen Abtötung ist, verdient den Namen nicht.

[Unterstreichungen und Fettdruck wie im Original]


Aus einem Brief von Mutter Julia an eine Mitschwester von 1946 oder 1947

Die Sinne sind: das Gehör, das Sehvermögen, der Geschmack, das Gefühl.

* Stirb Deinem Gehör ab im Hinblick auf den Genuss von Lob und Schmeichelei, sowie im Hinblick auf das Hören von Gesang, Musik und nutzlosen oder banalen Gesprächen.

* Stirb Deinem Sehvermögen ab im Hinblick auf die Befriedigung der Neugier sowie im Anschauen oder Betrachten von Menschen und Dingen, ebenso beim Lesen von Schriften und Büchern, Plakaten, Zeitungen, Zeitschriften u.s.w.

* Stirb Deinem Geschmacksempfinden ab in der Lust an Speise und Trank (Ernährung), in der Kleidung aus geschmacklichen und ästhetischen Gründen, in [der Empfindlichkeit für] angenehme und unangenehme Düfte oder Gerüche

* Stirb Deinem Gefühl ab in allen Neigungen zu Frohsinn und Trübsal, in Schmerz und Qual, in Beifall oder Widerstand, in körperlichem, materiellem oder geistigem bzw. geistlichem Besitz oder Empfinden.

Ich glaube, hiermit genügend Dinge zur Abtötung der sinnlichen Neigungen angeführt zu haben. Strebe mit Großmut danach, Dich abzutöten oder freizumachen von diesen sinnlichen Neigungen, damit Du, ganz losgelöst von Dir selbst und an Dir selbst, eifrig werden kannst, Gottes Gegenwart zu empfangen und in Dir zu tragen. Vollziehe das Absterben und die Loslösung an Dir selbst, nicht an anderen. Indem Deine Abtötung stärker an Gott und auf Gott hin ausgerichtet ist, wird Deine Selbstanforderung und Selbstzucht zu einer guten, milden und weitherzigen Zuvorkommenheit für den Mitmenschen und Mitbruder aufblühen. Dadurch wirst Du tugendhaft werden im Üben der Liebe.





Erinnerungen an den Alltag im Werk

Das wirklich Schlimme hinter den täglichen unmenschlichen Routinen im Werk ist, dass uns in einer päpstlich anerkannten Gemeinschaft des geweihten Lebens (!), Rechte und Ansprüche vorenthalten wurden. Sowohl Rechte und Ansprüche, die das Kirchenrecht vorsieht, als auch staatliches Recht als auch die schlichteste menschliche Moral:

Dass ich die Konstitutionen und Texte der Gründerin nicht lesen durfte.
Erst Jahre nach meinem Eintritt durfte ich einzelne Kapitel der Konstitutionen lesen, wobei mir sogleich die einzige gültige Interpretation mitgeliefert wurde. Dass die Konstitutionen äußerst schwammige spirituelle Formulierungen enthalten, die für einen verbindlichen Text völlig ungeeignet sind, und dass sie in einigen Punkten sogar schwer mit den Bestimmungen des Kirchenrechts vereinbar sind (insb. bzgl. der Wahl der Oberen und der obersten Leitung cc. 617-633), macht diesen Umstand noch bedenklicher: ich konnte mich nicht auf diesen Text berufen, ich konnte ihm nichts entnehmen. Auch Texte der Gründerin durfte ich nur in engem Rahmen lesen. Ich durfte sie nicht behalten, sie waren nicht frei zugänglich und ihre Interpretation wurde von den Oberen vorgegeben. Ich war de facto der Willkür meiner Verantwortlichen ausgeliefert. Tatsächlich wären insb. Konstitutionen öffentliche Texte, die auch interessierten Außenstehenden (bspw. Eltern und Angehörigen von Mitgliedern und Eintrittswilligen, Kirchenrechtlern und Bischöfen, in deren Diözesen das Werk tätig ist etc.), v.a. aber Eintrittswilligen schon vor dem Eintritt bekannt sein müssten, denn sie enthalten ja die Verpflichtungen, die sie eingehen und die Rechte, die ihnen zustehen (cc. 587 § 1, 596 § 1, 598 § 1).

Dass ich meine Briefe von meiner Verantwortliche lesen lassen musste.
Und das ca. ab dem zweiten Jahr in der Gemeinschaft. Meine Verantwortliche hat sie auch kommentiert und korrigiert, u. U. an Dritte weitergegeben und mir den Kontakt mit einigen Briefpartnern verboten. Das Briefgeheimnis ist aber zivilrechtlich gewährleistet. Eine solche Pflicht zur Offenlegung persönlicher Korrespondenz dürfte in keiner staatlichen oder kirchlichen Einrichtung bestehen noch im privaten Bereich (Deutschland: Art. 10 GG, § 202 StGB; Österreich: § 118 StGB).

Dass mir Beichtvater und Beichthäufigkeit, z. T. sogar Beichtmaterie vorgeschrieben worden ist.
Dazu gehört auch die Vermischung von forum internum und forum externum, da geistliche Begleiter in der Regel auch die äußere Leitung der Mitglieder innehatten bzw. geistliche Begleiter routinemäßig in Fragen der äußeren Leitung von Mitgliedern befragt wurden, dazu gehört ungehöriges Verhalten von Beichtvätern und Manipulation der Beichte durch suggestive Fragen. Das alles ist entgegen einiger der gewichtigsten kirchenrechtlichen Vorschriften (z. B. cc. 246 § 4, 630 insb. §§ 1, 3 und 5, 984 §§ 1 und 2, 991, 1387).

Dass ich keine Ausbildung erhalten habe.
Dass meine Verantwortlichen nicht in der Lage oder nicht willens waren, mich angemessen auszubilden, sondern ich das Noviziat fast ausschließlich mit Hausarbeiten, mit Putzen, Kochen und Bügeln verbringen musste sowie mit langen Vier-Augen-Gesprächen, in denen emotionaler und geistlicher Druck auf mich ausgeübt wurde (cc. 651 § 3, 652 § 5, 659 § 2, 660 § 1, 735 § 3).

Dass mir meine innere geistige, geistliche und emotionale Freiheit genommen wurde.
Durch das Verbot, Bücher zu lesen und mich mit anderen auszutauschen. Durch Verletzung meiner persönlichen Intimsphäre und meiner Gewissensfreiheit durch den Zwang, ständig Berichte schreiben und Gespräche führen zu müssen über meine intimsten Gedanken. Diese wurden an Dritte weitergegeben ohne dass ich wusste an wen oder etwas dagegen unternehmen konnte. Dabei musste ich nicht nur alles offenlegen, sondern auch jedes eigene Urteil über mich selbst und die Gemeinschaft aufgeben und dafür das Urteil der Verantwortlichen bedingungslos akzeptieren. Ich wurde dadurch völlig unfrei, Schritt für Schritt entmündigt und mir selbst entfremdet. Meine Freiheit wurde massiv verletzt. Dabei sieht das Kirchenrecht vor, dass geistliche Begleiter völlig frei gewählt werden können und das persönliche Gewissen und die Freiheit der ihnen Anvertrauten unbedingt respektieren müssen. Was in der geistlichen Begleitung geschieht und besprochen wird, darf keinen Einfluss auf die äußere Leitung haben. Niemand darf geistlich unter Druck gesetzt werden (cc. 170, 219, 220, 630, 653 § 1, 656 Nr. 4, 719 § 4).

Dass meine Beziehungen zu anderen kontrolliert und unterbunden wurden.
Dass Freundschaften unter den Mitgliedern verboten waren und ich weder mit Schwestern und Brüdern in anderen Häusern in Kontakt stehen noch nach ihnen fragen durfte, noch mit anderen über deren oder meine persönlichen Angelegenheiten und Gefühle sprechen durfte, geschweige denn mit Außenstehenden. So wurde ich isoliert und hilflos, insbesondere in Zeiten großer Belastungen und Manipulationsbemühungen meiner Verantwortlichen. Das war vielleicht das Schlimmste von allem. Denn ohne diese Isolation hätte meine Freiheit nicht in diesem Maße beschnitten werden können.


Gleich, was man vom Lebensstil, der Atmosphäre und der theologischen Grundausrichtung des Werkes halten mag, wird man diese Verletzungen grundlegender kirchlicher, rechtlicher und ethischer Normen nicht rechtfertigen können. Auch wird niemand, der die Wirkung einer solchen Behandlung nicht am eigenen Leib erfahren hat, diese beurteilen können, m.a.W. niemand, der niemals gezielt seiner inneren Freiheit beraubt worden ist, kann ermessen, was das bedeutet. Es bleibt zu hoffen, dass die zuständigen kirchlichen Behörden diesen Missständen ein Ende bereiten und derweil möglichst wenige Menschen Opfer des Werkes werden bzw. dass möglichst viele sich ihm rechtzeitig entziehen können.


Lügen, Unfreiheit und Abhängigkeit

Das Werk als fundamentalistische Gruppierung


Wenn man Fundamentalismus definiert als eine geistige Haltung, Anschauung, die durch kompromissloses Festhalten an [ideologischen, religiösen] Grundsätzen gekennzeichnet ist [und das politische Handeln bestimmt], kann man Das Werk ohne weiteres als fundamentalistische Gruppierung innerhalb der katholischen Kirche bezeichnen. Die Gemeinschaft vertritt Ideale, praktiziert Rituale und pflegt eine Identität, die sich weitgehend als fundamentalistisch beschreiben lassen. Ihre Mitglieder zeichnen sich insbesondere durch radikale Überzeugungen, intransigentes Beharren bzw. Diskursunfähigkeit aus. Insofern lässt sich das Werk mit Islamisten, Evangelikalen oder anderen "katholischen" Gemeinschaften, wie etwa der Petrusbruderschaft oder den Piusbrüdern vergleichen.


Das Werk als Sekte


Darüberhinaus weist das Werk aber auch Merkmale auf von Gruppen oder Organisationen, die psychologisch subtilen Techniken der Bewusstseinskontrolle einsetzen, um Menschen in ihre Abhängigkeit zu bringen, d.h. Merkmale von Sekten. Im Unterschied zu jemandem, der etwa in die Petrusbruderschaft eintritt, weiß jemand, der ins Werk eintritt nicht unbedingt, dass er sich einer radikalen religiösen Gruppierung anschließt. Er schließt sich vielmehr einer Gemeinschaft an, die vorgibt etwas anderes zu sein als sie ist (nämlich eine normale römisch-katholische Gemeinschaft des geweihten Lebens, die sich vielfältig kirchlich engagiert). Diese "Fassade-Taktik" ist aber typisch für Sekten, die ihren Mitgliedern etwas vormachen, um sie für sich zu gewinnen und sie, wenn sie einmal gewonnen sind, manipulieren und steuern zu können. Dies geschieht im Werk folgendermaßen:



Erster Schritt: Lügen

Wenn man das Werk kennenlernt erfährt man viel über diese neue Gemeinschaft. Das Mitglied des Werkes, mit dem man spricht, wird von nichts anderem berichten und sehr viel erzählen, von der Geschichte, vom kirchlichen Engagement, von den Mitgliedern, von der Gründerin. Die Gründerin wird oft zitiert. Das Mitglied strahlt großes Glück aus, wirkt durch und durch begeistert und erfüllt. Man hört viel Faszinierendes und - wenn man nicht schon schlechte Erfahrungen mit dieser oder einer ähnlichen Gemeinschaft gemacht hat - wird sich angezogen fühlen und geneigt sein, der Einladung in eines der Häuser der Gemeinschaft Folge zu leisten. Wenn man als potenzielles neues Mitglied, also als junger Mensch zwischen 16 und 25 diese Erfahrung macht, wird einem besonders eindrücklich geschildert, wie glücklich die jüngsten Mitglieder der Gemeinschaft sind und wie vielfältig sie in ihren Begabungen gefördert und eingesetzt werden. Zu erfahren, dass es eine Atomphysikerin, eine promovierte Philosophin, mehrere promovierte Theologen, einen Metzger, einen Schreiner, Klempner, Buchbinder und unzählige andere Berufe in der Gemeinschaft in dieser Vielfalt gibt, dass man als Mitglied in Italien, England, Frankreich, den USA oder dem Heiligen Land eingesetzt werden kann fasziniert unbedingt.

Erst Jahre später, oft erst nach dem Austritt wird einem bewusst, wie geschickt hier mit einem Gemisch aus Halbwahrheiten und Lügen gearbeitet wird. Man muss selbst erfahren, wie falsch, aufgesetzt und erzwungen (auch von Innen heraus erzwungen, von den Mitgliedern selbst), das vermeintliche Glück ist. Man muss erfahren haben, dass man zwar in allen möglichen Bereichen zum Arbeiten eingesetzt wird, dass man von einem Land ins andere versetzt wird und kaum Luft holen kann, aber mitnichten in den eigenen Begabungen wertgeschätzt und gefördert wird noch persönlich bereichernde Erfahrungen macht: im Gegenteil! Nach dem Eintritt heißt es dann, man müsse den eigenen Begabungen und Wünschen erst einmal "absterben". Wenn man dann die berühmte "Atomphysikerin", die "Philosophin", die "Theologen" und den "Metzger" kennenlernt, merkt man irgendwann auch, dass so gut wie keiner von ihnen in seinem Beruf auch tatsächlich arbeitet, dass ihre Qualifikationen zwar real sind, aber von keiner hohen Qualität, dass die allermeisten von ihnen psychisch gebrochene Menschen sind... Vor allem aber wird einem schlussendlich die größte Lüge klar: das Werk arbeitet nicht für die Kirche, sondern ausschließlich für sich selbst.


Zweiter Schritt: Unfreiheit

Wenn man erst einmal eingetreten ist, wird man ziemlich schnell isoliert und kontrolliert. Man mag das hinnehmen, weil man es für normal hält, in einer Gemeinschaft des geweihten Lebens gewisse persönliche Freiheiten aufzugeben. Dabei realisiert man nicht, dass das Werk im Beschneiden der Freiheit seiner Mitglieder weiter geht als es nach kirchenrechtlichen Prinzipien überhaupt gehen dürfte. Hier steht das Werk tatsächlich einer Sekte in nichts nach, denn es schreibt seinen Mitgliedern alles bis ins Kleinste vor und kontrolliert sie darin: alle Kontakte inkl. geistliche Begleitung und Beichtvater werden vorgeschrieben, ebenso Lektüre, Nahrungsaufnahme, Informationsquellen, Gedanken und Gefühle (!). Das Mitglied übernimmt diese Vorgaben scheinbar freiwillig, wird dabei tendenziell skrupulös und realisiert in der Regel erst zu spät, dass es komplett unfrei geworden ist.


Dritter Schritt: Abhängigkeit

Ist das Mitglied erst einmal von seinem früheren Umfeld abgeschnitten und unfrei geworden, wird es auch vom Werk abhängig. Diese Abhängigkeit kann sich auf alle Bereiche seines Lebens erstrecken. Oft befindet er/sie sich in einer emotionalen Abhängigkeit gegenüber seinem/ihrer "Verantwortlichen", der/die in der Regel die einzige Bezugsperson ist. Das  Mitglied befindet sich in einer ideologischen Abhängigkeit, da seine Identität und sein Gedankengut ganz vom Werk bestimmt wird. Es befindet sich in einer materiellen Abhängigkeit, da es keinen eigenen Besitz mehr hat und das Werk nicht verpflichtet ist, es nach einem evtl. Austritt in irgendeiner Weise zu unterstützen. Vielen Mitgliedern ist diese Abhängigkeit nicht bewusst. Sie entfaltet aber unbewusst eine starke Wirkung. Ergibt sich für ein Mitglied erst einmal eine irgendwie geartete potentielle Unabhängigkeit gegenüber der Gemeinschaft (emotional, ideologisch oder finanziell), kehrt es der Gemeinschaft in der Regel schnell den Rücken.



Umgang mit Austretenden

Werbick nennt als Merkmal fundamentalistischer Gemeinschaften "Intoleranz gegenüber 'Abweichlern'". Auch für Sekten ist aggressiver Umgang mit Abweichlern und ausscheidenden Mitgliedern typisch. Dazu gehören massiver Druck, der auf austrittswillige Mitglieder ausgeübt wird, das Vorenthalten der Rechte, die Mitgliedern während und nach ihrem Ausscheiden zustehen, der Anspruch der Deutungshoheit über die Motive des ausscheidenden Mitglieds diesem selbst und allen anderen Mitgliedern der Gemeinschaft gegenüber und der Versuch der Kontrolle der ausgeschiedenen Mitglieder auch noch lange Zeit nach deren Austritt, sowie das Kontaktverbot zwischen Ausgetretenen und aktiven Mitgliedern.

Ideologische Grundlegung: der Verrat des Judas
Im Werk ist das alles schon ideologisch grundgelegt. Ein Austritt gilt als die größte Katastrophe, die größtmögliche Untreue eines Mitgliedes und wird als "Abfall" nicht nur vom Werk, sondern von der eigenen Berufung und damit vom Ruf Gottes, d.h. von Gott selbst verstanden. Das zeigt z. B. das Kapitel 11 der Konstitutionen "Verlassen und Entlassen". Gleich zu Beginn dieses Kapitels werden die "Verleugnung des Petrus" und der "Verrat des Judas" als Metaphern für das Ausscheiden von Mitgliedern aus dem "Werk" bemüht. Vgl. Kapitel XI - Verlassen und Entlassen
Dementsprechend gestaltet sich auch der Umgang mit austrittswilligen, austretenden und ausgetretenen Mitgliedern:

Wer austritt ist selbst schuld
Sobald ein Mitglied spürbar auf Distanz zur Ideologie der Gemeinschaft geht, wird es z. T. massiv unter Druck gesetzt. Dies ist selbst dann der Fall, wenn die Gemeinschaft selbst auf das Ausscheiden des Mitgliedes hinwirkt. Bspw. werden mitunter Mitglieder, die zu krank sind, um zu arbeiten, aus der Gemeinschaft hinausgedrängt, nicht aber, ohne ihnen einzuschärfen, dass sie selbst die Schuld daran trügen, dass sie der Berufung nicht würdig seien oder ihre Berufung verspielt hätten, dass sie nicht fest genug an die Berufungsgnade geglaubt hätten und darum krank geworden seien etc. Dem ausscheidenden Mitglied wird klar gemacht, dass es außerhalb der Gemeinschaft nicht mehr glücklich werden könnte, dass es nun ohne die Bündnisgnade leben müsse usw. Dass die Verantwortlichen weiterhin den Kontakt zum ausgetretenen Mitglied halten wollen wird als großzügige Geste dargestellt, tatsächlich ist es der Versuch die möglichst weitgehende Kontrolle auch über ausgetretene Mitglieder zu behalten.

Erzwungener Verzicht auf alle Ansprüche gegenüber dem Werk
Sobald der Entschluss zum Austritt feststeht, wird dem Mitglied ein Dokument zur Unterschrift vorgelegt, in dem es heißt, dass es von nun an keinerlei Ansprüche mehr gegenüber dem Werk habe und zwar "insbesondere vertraglicher, rechtlicher, assikurativer oder finanzieller Art". Das Mitglied kennt seine Rechte zu diesem Zeitpunkt nicht, es kennt nicht einmal das 11. Kapitel der Konstitutionen. Dazu ist es extrem zermürbt von den vorangehenden oft tagelangen Gesprächen und seinen eigenen Skrupeln. Es kann niemanden um Rat fragen und hat nur noch einen Wunsch: so schnell wie möglich das Werk zu verlassen. Also unterschreibt das Mitglied.

Lächerliche Summe und Schweigegeld
In der Regel wird dem ausscheidenden Mitglied sogar ein Geldbetrag mitgegeben, der aber lächerlich gering ist und kaum die Lebenshaltungskosten für mehr als einen Monat decken kann. Mehr "Glück" haben allenfalls Mitglieder, die aufgrund ihrer Erlebnisse in der Gemeinschaft (Missbrauch, Medikamentenmissbrauch, Vorenthaltung ärztlicher Hilfe mit daraus resultierenden bleibenden Gesundheitsschäden) eine potenzielle Gefahr für das Werk darstellen: sie erhalten u. U. einen Zusatzbetrag, der im vierstelligen Bereich liegen kann: ein Schweigegeld.

Kein Austrittsindult
Im Kapitel 11 der Konstitutionen (vgl. Link oben) heißt es, dass das Ausscheiden von Mitgliedern mit "zeitlichen Gelübden" gemäß dem "Eigenrecht" geregelt wird. Dieses Eigenrecht - falls es überhaupt schon geschrieben ist - kennt aber kein Mitglied. Ein Indult, also eine Entlassungsurkunde, wie sie vom Kirchenrecht vorgesehen ist, steht nur Mitgliedern mit "ewigen Gelübden" zu. Das Werk lässt aber, entgegen kirchenrechtlicher Regelung, nur in Ausnahmefällen und nach sehr langer Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, Mitglieder zu den ewigen Gelübden, d.h. zum "ewigen Hl. Bündnis" zu. So scheiden selbst Mitglieder, die mehr als 10 Jahre zum Werk gehört haben ohne Indult aus, also ohne jemals de iure Mitglieder des Werkes gewesen zu sein und werden gemäß einem vom Werk selbst geschriebenen Eigenrecht behandelt, das sie nie zu Gesicht bekommen.

Keine Nachzahlung von Pensionsbeiträgen
Konsequent vorenthalten wird Ex-Mitgliedern des Werkes die gesetzlich vorgeschriebene Nachzahlung von Pensionsbeiträgen. Institute des geweihten Lebens müssen in den meisten europäischen Ländern wie Deutschland, Österreich und Italien nicht in die Rentenversicherung einzahlen, da sie sich selbst um ihre Mitglieder im Pensionsalter kümmern. Dafür sind sie aber gesetzlich verpflichtet ausscheidende Mitglieder nachzuversichern. Die dadurch entstehenden Kosten sind allerdings sehr hoch, insbesondere für Mitglieder, die 10 Jahre und mehr in der Gemeinschaft waren. Angesichts der gesetzlichen Vorschrift, der ohnehin unsicheren Renten und der Schwierigkeit nach dem Austritt (oft ohne nennenswerte Ausbildung, die man im Werk nicht erhält) einen Arbeitsvertrag mit einigermaßen einträglichem Lohn zu finden, ist das Vorenthalten dieser Nachzahlungen ein Verbrechen.

Die Deutungshoheit über den Austritt liegt bei den Verantwortlichen
Nach dem Austritt des Mitgliedes erfinden die Verantwortlichen eine Austritts-Legende, die sie den anderen Mitgliedern jeweils in vier-Augen-Gesprächen erzählen. Diese handelt immer davon, dass das betreffende Mitglied selbst schuld an seinem "Scheitern" sei. Von evtl. Missbrauch, Krankheiten, berechtigten Zweifeln und dem Versagen der Verantwortlichen ist keine Rede. Mal heißt es, er oder sie habe Schwierigkeiten mit einem der ev. Räte gehabt oder habe das "Charisma" nicht "in seiner Tiefe" verstanden, mal heißt es, er oder sie sei nicht bereit gewesen, sich von der Eigenliebe, vom Stolz oder sonst etwas zu bekehren. Manches mal heißt es auch, jemand sei einfach nicht "reif" genug gewesen. In jedem Fall aber ist allen Mitgliedern der Kontakt zu den Ausgetretenen verboten. Das gilt selbst dann, wenn es sich um leibliche Geschwister handelt.

Das Werk verfolgt Ex-Mitglieder
Auch wer ausgetreten ist, wird weiterhin von seinen ehemaligen Verantwortlichen kontaktiert und verfolgt. Das kann in einzelnen Fällen bis hin zum Stalking gehen, sodass Ex-Mitglieder schon polizeiliche Hausverbote für bestimmte Personen erwirken mussten, um sich von ihnen zu befreien. Das Werk will möglichst viel über seine ehemaligen Mitglieder wissen. Verantwortliche melden sich bei Ex-Mitgliedern oder deren Verwandten und Freunden und zeigen sich besorgt und anteilnehmend am weiteren Schicksal ihrer ehemaligen Mitglieder, eine Geste, die angesichts des vorausgegangenen psychischen Drucks und der vorenthaltenen Rechte zynisch wirkt und sich als Heuchelei entlarvt. Das Werk tut sehr viel, um sicherzustellen, dass Ex-Mitglieder der Gemeinschaft nicht gefährlich werden können. Sie schrecken auch vor der offenen Verleumdung von einzelnen ehemaligen Mitgliedern, die ihnen besonders gefährlich werden könnten, nicht zurück, sie verleumden also gerade ihre größten Opfer, weil deren Geschichten am meisten Sprengstoff in sich tragen. Bis vor Kurzem hat das Werk damit erfolgreich verhindern können, dass Geschichten seiner Ex-Mitglieder an die Öffentlichkeit gelangen. Wenn das dennoch einmal geschehen ist, wie Mitte der 90er in Belgien, hat es sich zum Opfer einer "Verfolgungswelle" stilisiert.


Fundamentalismus ist zu "schnell mit Gott fertig"

Atheismus, religiöser Fundamentalismus und leichtgläubiger religiöser Enthusiasmus sind sich alle auffallend ähnlich in dem, wie schnell sie fertig sind mit dem Geheimnis, das wir Gott nennen - und eben deshalb sind alle diese drei Positionen für mich in gleichem Maße unannehmbar.

Tomás Halík, Geduld mit Gott, 9.

Festungsdenken und Kriegsmetaphorik


Hintergrund: Der heilige Krieg

Festungsdenken und Kriegsmetaphorik sind nach Beinert Merkmale fundamentalistischer Gruppen. Beides hängt eng zusammen, ist die Festung doch selbst ein aus kriegsstrategischen Gründen errichtetes Gebäude. Der Hintergrund beider Merkmale ist die vermeintliche ständige Bedrohung, der fundamentalistische Gruppen sich ausgesetzt sehen und die selbst einen guten Teil ihrer Gruppen-Identität ausmacht bzw. zur Radikalisierung der Gruppe führt. Die Bedrohung wird dabei meist als übermächtig empfunden. Das heißt, sie hat entweder übermenschlichen (dämonischen) Charakter oder sie geht von der überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung aus - oder beides zugleich: ein übermenschliches dämonisches Wesen hat den Großteil der Menschheit im Griff und möchte sich auch des "kleinen Restes" der betreffenden Gruppe bemächtigen. Diese sieht sich also im Krieg gegen eine Übermacht, die sie nur durch eiserne Disziplin, unermüdlichen Kampf und den Zugang zu verborgenen Kraftquellen oder ähnlichem besiegen kann.

Eine solche Weltsicht hat destruktive Auswirkungen auf die Psyche der Mitglieder, sie kann dazu führen, dass die Gruppe sich nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden fühlt und dass sie vor Gewaltanwendung nicht zurückscheut.


Festungsdenken und Kriegsmetaphorik im Werk

Verhaeghe war geprägt vom Bewusstsein, dass Das Werk im Kampf zwischen Gut und Böse (s. Dualismus) eine entscheidende Rolle spielt. Ihre Sprache ist oft von Kriegsmetaphorik durchzogen. Auf sie zurückgehende Axiome dieser Art prägen bis heute das alltägliche Leben, Denken und Handeln im Werk. Nur zwei Beispiele dafür:

Zur Kriegsmetaphorik

Fais donner la garde! Verhaeghe hat diesen Spruch wohl einer Szene in einem Buch entnommen: In dem Moment, in dem das Leben des Königs auf dem Spiel steht, ruft er diesen Satz aus: die Leibgarde des Königs wird zum Einsatz gebracht, um ihn zu schützen. Das Werk war in den Augen Verhaeghes eine solche Leibgarde für die Sache des Königs, also für Christus und alles, was sie mit ihm verbunden hat: seine Kirche, seine Wahrheit, usw. dort, wo Christus selbst angegriffen würde, sollte Das Werk wie seine Leibgarde agieren, um ihn zu verteidigen und für ihn zu kämpfen. Der Spruch ist auf Karten gedruckt und in allen Zentren des Werkes verbreitet worden. Auch wenn er heute weniger verbreitet ist, als noch zu Lebzeiten Verhaeghes, ist er allen Mitgliedern bekannt. Vor allem ist der darin ausgedrückte Anspruch in der Gemeinschaft lebendig.

Zum Festungsdenken

Die Klostermauern des "geläuterten Gewissens". Auf Verhaeghe geht die Aussage zurück: "ich gebe euch keine anderen Klostermauern als die eures geläuterten Gewissens". Diese Maxime wird vom Werk selbst als höchst fortschrittlich betrachtet: die Mitglieder tragen keine Tracht, sie leben nicht in Klausur, sondern können auch außerhalb der Niederlassungen eingesetzt werden, sodass sie nicht durch Klostermauern vor der Welt "geschützt" werden, sondern durch ihr "geläutertes Gewissen". Tatsächlich offenbart diese Aussage aber ein Festungsdenken, das für das Werk ganz besonders typisch ist. Die Aussage dieses Axioms ist in Wirklichkeit nicht: handelt in der Welt entsprechend eurem Gewissen, sondern: ihr seid in der Welt in permanenter Gefahr und könnt ihr nur entrinnen, wenn ihr euer Gewissen "läutern" lasst, d.h. wenn ihr euer Denken und Wollen vom Werk verändern lasst, wenn ihr denkt und wollt, was das Werk euch sagt, dass ihr denken und wollen sollt. Tut ihr das nicht, seid ihr dem Feind ausgeliefert.


Der allgegenwärtige gute Kampf

Der biblische Begriff des "guten Kampfes" wird im Werk geradezu inflationär gebraucht. Allerdings wird er weder vor dem Hintergrund seines Entstehungskontextes reflektiert noch in seiner Verwendung im Werk hinreichend geklärt, sodass fraglich bleibt, in welchem Sinn diese Metapher vom Werk verstanden wird. Besorgniserregend ist die Häufigkeit und der Kontext, in dem dieser Begriff verwendet wird: Gekämpft wird gegen Satan und seine Werke, gegen "den Feind", gegen die eigenen "Leidenschaften"...  - so scheint die Metapher im Werk ziemlich wörtlich genommen zu werden und im Dienst des dualistischen Welt- und Menschenbildes zu stehen. Die oben geäußerten negativen Folgen eines solchen Denkens, stehen damit auch für das Werk und seine Mitglieder zu befürchten.

Stellen, in denen der "gute Kampf" in den Konstitutionen vorkommt:


Im „Gehorsam des Glaubens“ (Röm 16,26) schenken sie sich Gott, indem sie sich in der Kraft der Gnade Ihm mit Verstand und Willen unterwerfen und seine Offenbarung mit ganzem Herzen annehmen. So wird die Wahrheit Gottes sie immer mehr durchdringen und ihre begrenzten Einsichten und Erkenntnisse auf die eine Wahrheit hin ausrichten. Ihr Leben in der Berufung soll gekennzeichnet sein vom ständigen Bemühen, Grenzen und Schwächen im Glauben zu übersteigen. Dadurch verherrlichen sie Gott und empfange seine übernatürliche Kraft und Weisheit. Im Glauben sollen sie das göttliche Leben zur Entfaltung bringen und im Kampf gegen das Böse siegen (vgl. 1 Joh 5,4).
-  Konst. II,12 
Von Gideon und seinen Mitstreitern lernen sie [die Mitglieder des Werkes], im Kampf gegen den Feind menschliche Ängste im Glauben zu überwinden und ihr Vertrauen mehr auf Gottes Macht und die Einheit untereinander als auf die Anzahl der Kämpfenden zu setzen.
Konst. II,13



Waffen im Kampf gegen Satan – Die Angehörigen des „Werkes“ glauben, dass Christus die Macht Satans am Kreuz überwunden hat (vgl. Joh 12,31) und sie in der Taufe Anteil am Sieg Christi erhalten haben. Im Kampf gegen Satan (vgl. Eph 6,10-13), der danach strebt, sie in der Liebe erkalten zu lassen und von Christus zu trennen, vertrauen sie auf die übernatürlichen Waffen, die ihnen geschenkt sind: die Anbetung des allmächtigen und heiligen Gottes, den Schutz und die Fürsprache Marias, die Hilfe des Erzengels Michael, die drei göttlichen Tugenden, das „Heilige Bündnis“, das Gebet und die Buße, das Wort Gottes, die Sakramente und die Sakramentalien, die Gnade der Einheit mit der Kirche und untereinander sowie den Segen der Priester.
Konst. II,44



Als die Mutter des Sieges ist sie [Maria] ihnen [den Mitgliedern des Werkes] im guten Kampf nahe.
 
Konst. II,52



Sie vertrauen dem Erzengel Michael die Familie des „Werkes“ und die ganze heilige Kirche im Kampf gegen die Macht Satans an.
Konst. VIII,14



Das Sakrament der Firmung befähigt sie [die Mitglieder des Werkes], den guten Kampf zu kämpfen und in der Auseinandersetzung zwischen Licht und Finsternis die Treue zu Christus, zu seiner Kirche und zu ihrer Berufung zu bewahren.
 
Konst. VIII,20



„Das Werk“ muss im Geist der Unterscheidung auf die seelischen, geistigen und geistlichen Nöte des „kleinen Restes“ (vgl. Jes 10,21; Röm 11,1-12) hinhören und ihm die Geborgenheit einer geistlichen Familie schenken171. „Es sind damit alle jene gemeint, die in den Zeichen der Zeit treu den guten Kampf um den wahren Glauben kämpfen, die den Glauben an den dreieinigen Gott in ihrem Leben entsprechend der Überlieferung der Apostel und Propheten zu verwirklichen und zu bewahren suchen, sowie alle jene, die sich zu der heiligen Kirche als dem Mystischen Leib Christi, zu ihrer Hierarchie, ihrer Lehre und den Sakramenten in vollem Umfang bekennen“
Konst. IX,25
Wie der Gute Hirt die Herde vor Räubern und Dieben schützt, so sollen die Verantwortlichen den ihnen Anvertrauten beistehen und sie verteidigen, wenn sie Angriffen von außen oder von innen ausgesetzt sind. Sie zeigen ihnen Wege auf, wie sie Uneinigkeit vermeiden sowie in Versuchungen und im Kampf gegen unerlöste Leidenschaften mit Gottes Hilfe siegen können. Zugleich haben sie den Auftrag, ihre geistliche Familie vor Gefahren zu schützen, damit sie nicht die Klage des Propheten Ezechiel trifft: „Ihr seid nicht in die Bresche gesprungen. Ihr habt keine Mauer für das Haus Israel errichtet, damit es am Tag des Herrn im Kampf standhalten kann“ (Ez 13,5).
Konst. X,9
Sie blicken auf Maria und auf den Apostel Johannes, die Jesus Christus bis unter das Kreuz gefolgt sind. Vertrauensvoll erbitten sie deren Fürsprache, damit sie in Stunden der Prüfung nicht schwach oder ihrer Berufung untreu werden. Ihr ganzes Leben lang sollen sie die Tugend gläubiger Wachsamkeit bewahren, damit sie mit Gottes Gnade den guten Kampf bestehen, in der Versuchung standhalten und die ewige Herrlichkeit erlangen.
Konst. XI,1



Da auch die Berufenen im guten Kampf auf dem Weg der Bekehrung die Versuchung erfahren können, zwei Herren zu dienen, ist es ihre Pflicht, „das allzu Menschliche abzulegen und ́Christus anzuziehen`(vgl. Röm 13,14), um miteinander in anbetender Danksagung im Dienst des Herrn zu stehen“ (M.J.V.).

Konst. XI,5


Rein menschlich



"Rein menschlich"

"Rein menschlich" ist im Werk der Gegenbegriff zu "übernatürlich". Aus theologischer Perspektive ist das Adjektiv "übernatürlich" und seine Funktion im religiösen Wortschatz in letzter Zeit wiederholt problematisiert worden, nicht zuletzt weil es einen gewissen Dualismus impliziert, d.h. die Wirklichkeit in einen heiligen, übernatürlichen, und einen unheiligen, rein natürlichen Bereich einteilt. Im Werk wird diese Einteilung jedoch konsequent weiter gepflegt, wobei nicht vom "Natürlichen" oder "rein Natürlichen" als Gegenbegriff zum "Übernatürlichen" die Rede ist, sondern vom "rein Menschlichen", am häufigsten in der Kombination "rein menschliches Denken". Dieses "rein menschliche Denken" ist in der Vorstellung des Werkes das, was dem "übernatürlichen Wirken Gottes" im Menschen am meisten entgegensteht. Damit wird das Adjektiv "menschlich", das gemeinhin eine positive Konnotation besitzt, drastisch abgewertet und erscheint letztlich als gleichbedeutend mit "gottlos" und "sündig". Die Konsequenz ist, dass alle als "rein menschlich" betrachteten Handlungen und Gemütszustände, wie Sympathie und Antipathie, Erschöpfung, Zorn, Wissbegier u.ä. als tendenziell sündig gelten und unterdrückt werden müssen (vgl. die Litanei der Demut), während eine permanente stoische Gemütsruhe zum Ideal wird. Durch Ideale wie dieses werden die Mitglieder des Werkes systematisch den Werten der Gesellschaft, wie auch sich selbst und ihren eigenen Empfindungen entfremdet und manipulierbar gemacht.


Zum "sektenartigen Hausjargon" neuer geistlicher Gemeinschaften vgl. Urquhart, Gehirnwäsche.


Geistliche Vater- und Mutterschaft


"Geistliche Vater- und Mutterschaft"

Vater- und Mutterschaft ist in der Regel eine natürliche Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern. Diese ist den Religiosen des Werkes aufgrund ihres Jungfräulichkeitsgelübdes verwehrt. Sie sollen aber umso mehr die sog. geistliche Vater- und Mutterschaft leben, eine Art Beziehung zwischen den Religiosen und anderen Menschen, denen gegenüber sie ihrer eigenen Auffassung nach eine "geistliche" Verantwortung innehaben. Sei es, dass sie jemanden zum Eintritt ins Werk bewegen wollen oder für die Bekehrung von jemandem beten, der noch bestimmte Schwächen und Fehler hat. Dabei muss die betreffende Person nicht um ihr "Kind-Sein" in dieser Beziehung wissen, es ist noch nicht einmal notwendig, dass "geistliche(r)/Vater/Mutter" und "geistliches Kind" sich kennen bzw. das "Kind" muss überhaupt keine bestimmte Person sein. Die geistliche Vater- und Mutterschaft kennzeichnet vielmehr das grundlegende Selbstverständnis der Religiosen des Werkes gegenüber anderen Menschen im allgemeinen: ein Verhältnis von geistlicher Überlegenheit, aus der sich die Verpflichtung ableitet, alles nur irgend mögliche zu tun, um möglichst viele zu retten. Kein Opfer darf zu große sein. So erträgt bspw. jede Küchenschwester die Mühen ihrer täglichen Arbeit als "geistliche Mutter", im Bewusstsein, dass sie so "Berufungen gewinnen" und Gnaden für andere verdienen kann.


Zum "sektenartigen Hausjargon" neuer geistlicher Gemeinschaften vgl. Urquhart, Gehirnwäsche.


Bündnisgnade


"Bündnisgnade"

Die Bündnisgnade ist eine Formel, auf die im Werk oft rekurriert wird. Gemeint ist damit die ganz besondere Gnade, die nach Ansicht Verhaeghes allen zuteil wird, die das "Heilige Bündnis" schließen. Das "Bündnis", das in Wirklichkeit - theologisch und kirchenrechtlich betrachtet - höchstens ein persönliches Engagement in der Kirche ist und z.T. weniger als das, wird im Werk nicht nur wie ein Sakrament (das eine eigene Gnade vermitteln kann) betrachtet, sondern gewissermaßen als "Super-Sakrament", das alle anderen Sakramente vollendet. Dementsprechend gilt die Bündnisgnade als eine Art "Super-Gnade", die die Mitglieder des Werkes befähigt alles das zu tun, was im Werk von ihnen verlangt wird. Wenn Mitglieder vor Aufgaben gestellt werden, die sie eigentlich nicht bewältigen können, werden sie auf die Bündnisgnade verwiesen, auf die sie eben vertrauen müssten. Wer Schwierigkeiten oder Zweifel hat, wer überlastet oder depressiv ist o.a. - wird auf diese (leere) Formel verwiesen, wodurch sich die Verantwortlichen ihrer Verantwortung für die Mitglieder entledigen, die sie zugleich mit Anforderungen und Arbeiten überschütten und deren psychische und physische Probleme sie weitgehend ignorieren können. Ja: jedem Mitglied, das mit seinen Schwierigkeiten nicht zurecht kommt, kann man selbst die Schuld daran geben: er oder sie hat eben nicht genug an die Bündnisgnade geglaubt oder diese Gnade aus eigener Schuld verspielt.


Zum "sektenartigen Hausjargon" neuer geistlicher Gemeinschaften vgl. Urquhart, Gehirnwäsche.

Standesgnade



"Standesgnade"

Die Standesgnade ist ein Konzept katholischer Tradition, demzufolge jeder Christ von Gott die Gnade erhält, die er zur Erfüllung seiner "Standespflichten" benötigt (also der Pflichten, die sein Stand bzw. sein Beruf mit sich bringt). Daraus leitet sich im Ordensleben die Vorstellung ab, dass jeder zum geweihten Leben Berufene von Gott die Kraft erhält, die drei evangelischen Räte (Armut, Keuschheit und Gehorsam) zu halten; und dass die Oberen die Gnade erhalten, die sie brauchen, um die ihnen Anvertrauten Ordensleute zu leiten. Im Werk wird dieses überkommene Konzept nicht nur im alten Sinne weiterverwendet, sondern auch verfälscht. Die Standesgnade, die ein Oberer erhält, ersetzt nämlich im traditionellen Verständnis nicht sein persönliche Engagement und sie verpflichtet seine Untergebenen nicht dazu, alle Weisungen des Oberen bedingungslos zu akzeptieren. Im Werk dagegen schon: unter Berufung auf die ihnen verliehene "Standesgnade" halten sich Verantwortliche im Werk für unfehlbar. Sie fühlen sich nicht dazu verpflichtet, die ihnen untergebenen Mitglieder wirklich anzuhören und zu verstehen, sondern meinen, dass sie sie "blind" führen können, alleine aufgrund ihrer besonderen Begnadigung als Verantwortliche, und dass selbst wenn Verantwortliche Fehler machen würden, diese durch die Standesgnade von Gott gerechtfertigt und zum Guten gewendet werden würden. Mitglieder sind also in jedem Falle unbedingt dazu verpflichtet, die Weisungen ihrer Verantwortlichen fraglos zu befolgen, weil diese Weisungen in jedem Falle gut sind. Aber nicht nur das: weil die "Standesgnade" sich in den Augen der Verantwortlichen als eine Art Wunderheilmittel darstellt, das persönliche Fehler und Mängel behebt, werden immer wieder Mitglieder, die sich als besonders schwierig erwiesen oder sich sogar schwerer Vergehen schuldig gemacht haben, extra in eine Verantwortlichen-Position erhoben, in der Annahme, dass ihre Fehler nun von der Standesgnade behoben werden würden. 

Zum "sektenartigen Hausjargon" neuer geistlicher Gemeinschaften vgl. Urquhart, Gehirnwäsche.



Arkandisziplin - Geheimlehren und -praktiken

Beinert nennt den Begriff der Arkandisziplin als Kennzeichen fundamentalistischer Gemeinschaften.

Arkandisziplin ist eine Art stufenweiser Einweihung der Mitglieder in Lehren und Praxis der Gemeinschaft. Die "Eingeweihten" müssen sich gegenüber "Nicht-Eingeweihten" verschwiegen zeigen. Diese Praxis hängt zusammen mit anderen Merkmalen fundamentalistischer und sektiererischer Gruppen: Eliteanspruch, Auserwählungsbewusstsein, dualistisches Weltbild und starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie geht oft einher mit dem Wahrheitsanspruch der Gemeinschaft, mit der klaren Abgrenzung gegenüber der Umwelt, die nicht in der Lage oder nicht würdig ist, das geheime Wissen der Eingeweihten zu teilen und mit der Furcht vor Verfolgung, sollte das geheime Wissen in die falschen Hände gelangen. Diese Praxis ist kennzeichnend für alle religiösen Geheimkulte, Sekten, für die Freimaurer, aber auch für christliche Gemeinden in der Antike.

Das Werk übt zweifellos eine ausgeprägte Arkandisziplin. Verhaeghe sprach davon, man müsse "das Geheimnis des Königs wahren" (Worte, die sie dem Buch Tobit entnahm: "Es gebührt sich, das Geheimnis eines Königs verborgen zu halten, aber die Werke Gottes mit Rühmen zu verkündigen". Tob 12,7). Noch gängiger ist heute im Werk der Begriff der "Diskretion", der aber dieselbe Funktion hat: er markiert die "Geheimnisse" der Gemeinschaft, vor deren Bekanntwerden sie sich fürchtet und Schaden für ihr Image erwartet (nicht zu unrecht).

Zum Geheimnis des Königs zählt die Spiritualität und die Politik des Werkes. Für beides gibt es eine Art stufenweiser Einweihung. Jedes neue Mitglied wird nach und nach mit den Texten und Praktiken des Werkes vertraut gemacht, und mit jedem neuen "Schritt" wird ihm eingeschärft, dass "wir darüber nicht sprechen", insbesondere nicht "draußen". Sehr vieles fällt in die Kategorie des Geheimen:

- fast alle Texte Verhaeghes. Bis vor wenigen Jahren hatten die meisten Mitglieder nicht einmal Zugang zu den Konstitutionen des Werkes, die Originaltexte Verhaeghes sind nach wie vor unter Verschluss und werden den Mitgliedern nur auszugsweise zu Lesen gegeben. Jedem Mitglied ist klar, dass es die Texte nach dem Lesen zurückgeben muss, und dass sie unter keinen Umständen weitergegeben werden dürfen, vor allem nicht an "Nicht-Eingeweihte". Dasselbe gilt für Gebete, wie etwa die in diesem Blog veröffentlichte Herz-Jesu-Litanei oder die Litanei der Demut.

- die Praktiken des Werkes. Sobald ein Mitglied aufgefordert wird, wöchentliche und monatliche Berichte zu schreiben (das geschieht in der Regel im ersten Jahr, sobald das Mitglied "reif" dafür ist), wird ihm auch gesagt, dass alle das tun, dass wir darüber aber nicht sprechen, auch nicht untereinander, erst recht nicht gegenüber Außenstehenden. Das gilt auch für die "Abrechnung", einem Blatt, auf dem jedes Mitglied seine monatlichen bzw. vierteljährlichen Ausgaben bis auf den Cent genau mit Rechnungen dokumentieren muss. Dasselbe gilt für das Öffnen der Briefe: insbesondere im Noviziat müssen alle Briefe vorgelegt werden - den Eltern oder Bekannten, die diese Briefe geschrieben haben oder empfangen werden, sagt man darüber natürlich kein Wort. Gleiches gilt von der Askese: das Fasten, die Verzichte, die bei Kleidung und Entspannung verlangt werden und das kräfteraubend volle Arbeits- und Gebetsprogramm: das alles ist "Geheimnis des Königs" und unterliegt der "Diskretion".

Zu den Dingen, die "draußen" nicht erzählt, und auch unter den Mitgliedern nur bedingt angesprochen werden dürfen, gehören außerdem:

Die Namen hochrangiger Freunde und Besucher des Werkes: es ist mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass das Werk direkten Zugang zu Benedikt XVI., seinem Sekretär Georg Gänswein und seinem Bruder Georg Ratzinger hatte bzw. noch hat, und damit auch Zugang zu vielen hochrangigen Kurienkardinälen, Erzbischöfen und Prälaten. Das Werk investiert sehr viel Energie in den Aufbau solcher Kontakte, in allen seinen Niederlassungen. Die Mitglieder müssen für die Besuche dieser wichtigen Gäste, die in den Häusern des Werkes ein- und ausgehen, alle Kräfte aufbieten und ein perfektes Bild abgeben, - sie dürfen aber nicht darüber sprechen, sodass auch die Mitglieder aus dem einen Haus nicht erfahren, was im anderen geschieht. Die "gewöhnlichen" Mitglieder erfahren auch nicht, was diese wichtigen Gäste mit den Verantwortlichen des Werkes besprechen.

Finanzen des Werkes: darüber wissen die Mitglieder selbst in der Regel nicht Bescheid. Wer was verdient, wer wie viel Monatsgeld zur Verfügung hat, wofür es ausgegeben wird, wer spendet, woher das Werk sich überhaupt finanziert. Zwar erfahren die Mitglieder hin und wieder wie viel Geld in den Bau oder die Restaurierung dieses oder jenes Hauses investiert wurde (eine Summe, die sich allein in den letzten Jahren auf einige Millionen belief), sie wissen aber nicht, dass sich zugleich die Kosten für die tägliche Ernährung eines Mitgliedes auf nur 1,- Euro belaufen!

Entscheidungen des Rates. In der Regel werden nur banale Entscheidungen allgemein bekannt. Wer mehr weiß, darf darüber nicht sprechen. Es gibt auch Entscheidungen, die zwar alle betreffen, aber draußen nicht bekannt werden dürfen.

Ausgetretene Mitglieder. Wenn ein Mitglied die Gemeinschaft verlässt oder verlassen muss, wird das den anderen Mitgliedern von den Verantwortlichen mitgeteilt, inkl. einer Erklärung, warum das geschehen ist (in der Regel liegt die "Schuld" in der Schwäche des Ausgetretenen, der keine Möglichkeit hat, seine Entscheidung und seine Gründe den anderen direkt zu kommunizieren). Weiterer Kontakt mit Ausgetretenen ist nicht möglich bzw. der Leitung vorbehalten. Von Mitgliedern, die "früher" ausgetreten sind, die das einzelne Mitglied nicht kennt oder gekannt hat, erfährt es auch nichts. Über ehemalige Mitglieder wird insbesondere mit der Außenwelt nicht gesprochen.

Gespräche mit Verantwortlichen. Diese Gespräche, in denen das Mitglied sich völlig "öffnen" muss, wo auch sehr intime und heikle Themen angesprochen werden und der Einzelne oft weit über die Schmerzgrenze kritisiert und in Frage gestellt wird, sind absolut "geheim". Darüber spricht man mit niemandem.

Verfehlungen der Verantwortlichen. Die Verantwortlichen müssen "mit Ehrfurcht" behandelt werden. Die einzelnen Mitglieder erleben sie ohnehin nie von ihrer "persönlichen Seite", sondern immer nur in ihrer "Rolle". Falls ein Mitglied dennoch einmal eine Schwäche eines Verantwortlichen mitbekommt, was auch immer das ist, muss es darüber "ehrfurchtsvolles Schweigen" bewahren. Auf diese Art und Weise sind etwa die "hysterischen Ausfälle" von "Mutter Katharina" von allen ignoriert worden; und Patres, die für ihre "Schwäche" gegenüber Frauen bekannt sind, bleiben vor Behelligungen innerhalb der Gemeinschaft sicher.

Zweifel und Sorgen. Mitglieder, die Zweifel bekommen oder sich Sorgen um die Gemeinschaft, um sich selbst oder andere Mitglieder machen, dürfen diese nicht äußern, außer gegenüber ihrem Verantwortlichen, der sie ihnen wieder ausredet. Das gilt auch und gerade dann, wenn Mitglieder ernsthafte psychische Schwierigkeiten haben.

Krankheiten von Mitgliedern. Über Krankheiten spricht man nicht. In der Regel bekommen Mitglieder gar nicht mit, wenn ein anderes Mitglied im selben Haus krank ist, sei es akut oder chronisch. Wer es dennoch mitbekommt, weiß, dass er darüber nicht sprechen darf, dasselbe gilt natürlich, wenn man selbst krank ist. Ob und was mit der betreffenden Person geschieht, ist allein Sache der Verantwortlichen.



Das Isaakopfer

In diesem Text zeigt Verhaeghe, was sie von ihren Mitgliedern fordert: wie Gott von Abraham verlangt hat, seinen eigenen Sohn zu töten, sollen die Mitglieder des Werkes im Gehorsam gegenüber ihren Verantwortlichen zu allem bereit zu sein, insbesondere dann, wenn es darum geht, das zu opfern, was ihnen am wichtigsten und liebsten ist.

Im Werk wird dieses Verhaeghe-Zitat besonders dann gebraucht, wenn ein Verantwortlicher ein Mitglied dazu bewegen will, den Kontakt zu seiner Familie, seine besonderen Begabungen oder seine tiefsten Wünsche aufzugeben. Das bricht den Mitgliedern das Herz, und macht sie nachhaltig innerlich krank.

Dieser Text zeigt auch, wie gefährlich eine nicht theologisch fundierte, rein geistlich-biblizistische Bibelauslegung ist, wie sie von Verhaeghe immer praktiziert worden ist und bis heute im Werk praktiziert wird. 

"Es wird von uns der Glaube gefordert, der in menschlicher Ohnmacht sein Kind zum Opferaltare bringt. Dort wird Gott selbst eingreifen und den Glaubensakt, den der Glaubende in Treue zu seinen heiligen und unergründlichen Verfügungen vollzogen hat, in einen Akt der Anbetung verwandeln, der Ihn ehrt und verherrlicht."
Julia Verhaeghe 

Schwester im Werk von 1967 bis 1974 - Teil I



Meine Erfahrungen mit dem Werk betreffen den Zeitraum von 1961 bis 1974, Mitglied im Werk war ich von 1967 bis 1974.

1961 war ich noch Gymnasiastin; es waren Ferien - Ferien nach denen mich eine Französischprüfung erwartete. Eine Mitschülerin gab mir eine Adresse in Wallonien, wo ich bei der Betreuung französischsprachiger Kinder helfen könnte. Da ich von Haus aus sozial engagiert und christlich war, sprach mich dieses Angebot an und so entschloss ich mich mit zwei Klassenkameradinnen dorthin zu gehen, an einen uns unbekannten Ort: rue Probideau, Villers-Notre-Dame bei Ath. Als wir dort ankamen, wurden wir noch am selben Abend ohne Erklärung nach Brüssel weitergeschickt. Das überraschte uns, aber wir dachten nicht länger darüber nach. In Brüssel wurden wir in einer französischsprachigen Organisation in der Freizeitbetreuung von Kindern eingesetzt, begleitet von zwei „Fräuleins“ vom „Foyer“. Damals wusste ich noch nicht, dass das „Foyer Saint-Paul“ einer der Namen war, unter denen das Werk arbeitete. Im Haus des Foyers, das damals in Woluwe lag, ging es für uns Sechzehnjährige etwas allzu fromm zu. Aber es herrschte eine Atmosphäre von Geborgenheit und Ruhe. Wir stellten uns keine Fragen, weder ich noch die beiden anderen. Tagsüber halfen wir in der Kinderbetreuung, abends ruhten wir uns aus, lasen oder unterhielten uns über ‚wer weiß was alles’. Mit den anderen Hausbewohnern hatten wir kaum Kontakt. Über Villers sprachen wir nicht mehr.

Das Jahr darauf bewegten mich meine Eltern, wieder hinzugehen. Diesmal ging ich allein. Nun wurde ich in der „Familienpflege“ eingesetzt. Eines der Fräulein besorgte mir eine gefälschte Bescheinigung, auf der mein Alter verändert wurde. Ich musste ja achtzehn sein, um in Familien als „Familienhelferin“ arbeiten zu können. Bezahlt für diese Arbeit wurde das „Foyer“. Aber ich stellte keine Fragen, sondern war in meinem Idealismus selbst von dieser Arbeit überzeugt. Ich sammelte dabei viel Lebenserfahrung. Von da an wurde ich von einem der Fräulein, Suzanne Maesschalck, betreut. Sie lud mich ein, hin und wieder zu einem ihrer Gottesdienste zu kommen. Außerdem durfte ich sie begleiten als sie andere Häuser der Gemeinschaft besuchte; und sie lud mich immer wieder einmal ein, einige Tage in einem der Häuser zu verbringen.

Ich fühlte mich angezogen von der Atmosphäre, die dort herrschte, je länger je mehr. Jetzt, so viele Jahre danach, möchte ich sagen „das Gift begann zu wirken“. Meine tiefgläubige Erziehung, mein soziales Engagement, Frömmigkeit und Idealismus machten mich empfänglich für diese Menschen. Nach dem Gymnasium wollte ich eine Lehrerausbildung beginnen. Sie schlugen vor, dass ich danach noch zwei Jahre daheim für meine Familie arbeiten sollte, dann sollte ich bei ihnen eintreten. Inzwischen hatten sie mich auch gebeten, nicht zu viel über sie zu erzählen, mit der Begründung, „die Menschen“ verstünden das nicht so gut oder sie sagten gar: „Wir sind die Auserwählten, die Welt ist schlecht und versteht das nicht“. Ich nahm das alles einfach so hin und ließ es mir gefallen. Ich fand die Welt wirklich schlecht und glaubte mit der Zeit immer mehr, dass „Paulusheim“ (oder „Opus Christi Regis“, wie das Werk sich damals meistens nannte), der einzige richtige Weg war. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte angefangen und ich war irgendwie selbst davon überzeugt, dass die Kirche den falschen, den oberflächlichen und modernistischen Weg ging. Das Werk war der einzige wahre Weg.

Ich teilte meinen Eltern mit, dass ich ins Werk eintreten wollte. Sie hatten es bis dahin noch nicht näher kennengelernt. Zwar waren sie nicht gegen meinen Entschluss, einer religiösen Berufung zu folgen, aber sie stellten eine ganze Reihe praktischer Fragen, auf die sie keine Antwort bekamen. Sie mussten einfach Vertrauen haben. Als großes Hindernis erwies sich, dass sie mich baten, noch ein Jahr zu warten, weil die Familie mich wirklich noch brauchte. Es entstand ein verbissener Streit zwischen meinen Eltern und der Gemeinschaft. Ich blieb bei meinem Entschluss – völlig von ihnen beeinflusst und von ihnen unterstützt: „Siehst du, deine Berufung ist echt, wie es im Evangelium steht: Wer Vater und Mutter nicht verlässt, ist meiner nicht würdig... Kinder werden sich gegen ihre Eltern erheben...“

Mittlerweile weiß ich, dass damals schon Priester im Umkreis meiner Familie durch ein einziges Wort ihrerseits viel Leid hätten verhindern können. Aber sie schwiegen. Je mehr meine Eltern sich meiner Entscheidung widersetzten, desto stärker hielt ich daran fest. Ich war sogar bereit, alle Sicherheiten aufzugeben, weil ich auf die göttliche Vorsehung vertraute, die ganz besonders über dem Werk wachte. Langsam aber sicher war ich völlig in den Einfluss des Werkes geraten. Ich ließ mich von ihnen führen, und nicht allein in den kleinen Dingen, auch deswegen weil sie mein Ego sehr ansprachen. Sie betonten immer wieder, dass ich genau die Talente hatte, die es brauchte, damit das Werk seine Sendung erfüllen könnte. Ich gehörte zu den Berufenen, den wenigen Auserwählten. Diese enthusiastische Aufnahme bestärkte mich ungemein. Auch die Perspektiven, die sie mir vor Augen stellten, waren vielversprechend. Ich dürfte in Rom studieren, weil ich berufen wäre „Leitungsverantwortung“ wahr zu nehmen – etwas, das nicht jeder kann. Ich fiel auf sie herein: auf ihre Begabung, andere zu manipulieren. Später erkannte ich, wie sie bei jedem potenziellen Kandidaten den schwachen Punkt suchten, der es ihnen ermöglichte, die Schlinge enger zu ziehen.

Ich ging wie auf Wolken. Nicht wenige Menschen in meiner Umgebung warnten mich und versuchten, mich zu einer kritischeren Haltung zu bewegen. Aber ich sah alles nur mit den Augen des Werkes, konnte nichts anderes mehr wahrnehmen. Alles, was von draußen kam, war schon wie gefiltert durch die Anschauung des Werkes. Sie formulierten das ziemlich deutlich:“ Alles und jeder, der gegen das Werk spricht, kommt vom Teufel. Er ist schlecht! Du musst deine Ohren vor ihm verschließen!“ Meine Eltern durchlebten abwechselnd Phasen von Verbitterung, Verzweiflung und Hass. Aber in meinem jugendlichen Trotz glaubte ich, das im Namen des Evangeliums ertragen zu können. Einige Priester aus der Umgebung wurden eingeschaltet, manche hatten keine Ahnung und glaubten, es ginge um eines der vielen neuen Säkularinstitute. Andere wussten mehr, zogen es aber vor zu schweigen, um in der schwierigen Auseinandersetzung zwischen mir und meinen Eltern nicht Stellung beziehen zu müssen.

Im September 1967 ging ich in aller Stille von daheim weg. So hatten es mir die Leute vom Werk geraten...

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