Was will dieser Blog?

Dies ist der Blog ehemaliger Mitglieder des "Werkes". Er enthält Geschichten, Tatsachen und Erfahrungen, die vom "Werk" sorgfältig verschwiegen oder geleugnet werden. Er sei jedem ans Herz gelegt, der mit dem "Werk" in Kontakt kommt.

Zusammenleben von Männern und Frauen im Werk. Ideal und Realität.

Das Zusammenleben von Männern und Frauen im Werk.

Ideal und Realität



Die gottgeweihten Männer und Frauen des „Werkes“ müssen sich bewusst bleiben, dass die fruchtbare gegenseitige Ergänzung nur dann möglich ist, wenn sie sich von der Gnade des „Heiligen Bündnisses“ durchdringen lassen und die Vorrangstellung der Jungfräulichkeit im konkreten Leben beachten. Sie sollen in Treue und Entschiedenheit den Weg der Nachfolge gehen, denn „die Komplementarität in der geistlichen Vater- und Mutterschaft, wie sie im ‚Werk‘ gesehen und gelebt werden muss, setzt eine tiefe Läuterung und Heilung von den ungeregelten Begierden der sündigen Natur in Gottes barmherziger Liebe voraus. Diese gegenseitige Ergänzung ist ein wahres Gnadengeschenk Gottes an die heilige Kirche und kann ohne diese Voraussetzung nicht in der von Gott gewollten Weise fruchtbar werden“ (M.J.V.).

Die gottgeweihten Männer und Frauen streben danach, einander in Vertrauen, Offenheit und Herzlichkeit, mit Achtung und Ehrfurcht zu begegnen. Sie achten auf einen gottgeweihten Lebensstil, meiden unreifes Verhalten und unmündige Anlehnung, halten Rechnung mit den Neigungen der menschlichen Natur und üben jene Aszese, die das gottgeweihte Leben fordert. Sie helfen sich gegenseitig, ihre jungfräuliche Liebe zu schützen und sie zu einer aufbauenden Kraft für ihre geistliche Familie und für andere Menschen werden zu lassen. Die gegenseitige Ergänzung von gottgeweihten Frauen und Männern soll für viele Menschen ein Zeugnis für das segensreiche Zusammenwirken von Männern und Frauen im Dienst der Kirche sein.
Konst III, 41.

De facto leben im Werk erst seit den 90er Jahren Männer und Frauen zusammen. Damals hatte das Werk noch keine Päpstliche Anerkennung und keine eigene Inkardination. Die ersten Priester waren Diözesanpriester und mussten von ihren Bischöfen für das Werk freigestellt werden. Anfang der 90er gab es zudem schon eine kleine Gruppe Seminaristen, die in Rom studierten, mit dem Ziel Priester des Werkes zu werden. Sie wohnten damals noch nicht mit den Schwestern im selben Haus (die Piccola Casa wäre dafür zu klein gewesen). Erst ab Mitte der 90er gab es das "Collegium Paulinum", in dem dann erstmals Männer und Frauen ständig miteinander lebten. 1999 wurde das Werk in der Diözese Rom anerkannt, 2001 folgte die Päpstliche Anerkennung und damit die eigene Inkardination. Heute leben Männer und Frauen in mindestens fünf Niederlassungen zusammen, wenn auch meistens in verschiedenen Gebäuden, Trakten oder Etagen.


Das Zusammenleben von Männern und Frauen. Das Ideal.

Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen ("männlich" und "weiblich" nach dem Hebräischen Text der Bibel). In ihrer Verschiedenheit bereichern sich die Geschlechter gegenseitig. Das gilt für jeden Bereich des menschlichen Lebens, auch für das geweihte Leben. Auf allen Ebenen des Ordenslebens können Männer und Frauen einander etwas geben: im Gebet, in der Pastoral (besonders in der Familienpastoral), in der täglichen Arbeit usw. Dabei begegnen sie einander mit herzlichem Vertrauen und mit der gebührenden Ehrfurcht, die Menschen gegenüber angemessen ist, die Ehelosigkeit gelobt haben. - Eine Ehrfurcht, die ihre Zusammenarbeit nicht behindert, im Gegenteil, sie trägt und fördert.


Das Zusammenleben von Männer und Frauen. Beobachtungen.

Im obigen Text fällt sofort auf, dass er von warnenden Hinweisen ganz durchzogen ist: unbedingte Voraussetzung ist die "Heilung der ungeregelten Begierden der sündigen Natur", gewarnt wird vor "unreifem Verhalten" und "unmündiger Anlehnung", vor den "Neigungen der menschlichen Natur", die nur durch "jene Aszese, die das gottgeweihte Leben fordert" in den Griff zu kriegen wäre.
Tatsächlich wäre der (von erfahrenen Ordensleuten, Psychologen und Pastoraltheologen wie bspw. Sandra Schneiders oder Wunibald Müller) empfohlene Umgang von Priestern und Ordensleuten mit dem anderen Geschlecht der einer bewussten und reflektierten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit: wer bin ich als Mann/Frau? Was bedeutet es mir Mann/Frau zu sein? Welchen Raum gebe ich meinem Mann-/Frausein in meiner Berufung, in der Begegnung mit anderen, in meiner Arbeit? - Auch als Ordensmann/frau muss man sich zunächst bewusst machen, dass man Mann oder Frau ist und sein darf. Dazu muss man dann Wege finden, in denen das Bedürfnis, als Mann oder Frau geliebt zu sein und lieben zu dürfen auf eine der eigenen Berufung angemessene Weise zum Zuge kommt. Auch der Ordensmann/die Ordensfrau braucht geistig und emotional erfüllende Begegnungen, die die eigene Persönlichkeit (die tief von der Geschlechtlichkeit geprägt ist) berührt und ihre Entwicklung anregt. Die Ehelosigkeit ist der Verzicht auf eine ausschließliche, auf körperliche Vereinigung und Nachkommenschaft angelegte Partnerschaft. Sie ist nicht der Verzicht auf die eigene sexuelle Identität, auf menschliche Liebe und Freundschaft.


Im Werk wird die menschliche Natur nicht als Grundlage, sondern als Hindernis für die geweihte Berufung angesehen. Folgerichtig wird auch sexuelle Identität nicht integriert, sondern so weit wie irgend möglich unterdrückt und von außen kontrolliert. Dies gilt insbesondere bei den Frauen: sie müssen im Werk ihre Weiblichkeit ablegen; die einzig "legitime" Weise des Frauseins liegt nun in der "natürlichen" Neigung zur Hausarbeit. Im Zusammenleben mit den Priestern sind sie in erster Linie eine "Gefahr". Ständig steht die Sorge darum im Raum, dass sie so gekleidet sind und sich so verhalten, dass sie möglichst wenig als Frauen wahrgenommen werden. Es herrscht eine strenge Kleiderordnung: Sie müssen Unterkleider und wadenlange Röcke tragen, Schuhe und Blusen, die oft eine Nummer zu groß sind. Die Haare werden kurz geschnitten oder hochgesteckt.


Die Patres und Brüder müssen mitteilen, sobald sie eine "Versuchung" spüren, weil eine Schwester ihnen sympathisch oder attraktiv erscheint (umgekehrt auch, das kommt aber relativ selten vor). Dann setzt sich eine aufwendige Maschinerie in Gang: der Verantwortliche des betreffenden Bruders setzt sich mit der Verantwortlichen der betreffenden Schwester in Verbindung, ggf. werden noch die international Verantwortlichen informiert. Die "gefährliche" Schwester wird zurechtgewiesen, vermehrt beobachtet, ggf. versetzt, beide werden unter Druck gesetzt - häufig ohne, dass auch nur einer von beiden wirklich etwas im Sinne hatte, die Schwester weiß in der Regel nicht einmal, um wen es denn ging bzw. worum es überhaupt ging, sie erfährt nur, dass sie eingeschüchtert wird. Auch für den Bruder gibt es keine konstruktive Auseinandersetzung mit den dahinter liegenden Gefühlen und Sehnsüchten, vielmehr wird alles daran gesetzt, sie zu zerstören. Sie werden als sündhaft betrachtet.


Dies hat fatale Folgen für die Psyche: Wo diese Ur-Sehnsüchte des Menschen zerstört werden, geraten das Gefühlsleben und die Identität durcheinander und werden verwundet. Die Liebesfähigkeit kann sich nicht entwickeln, man verlernt, sich in andere einzufühlen und miteinander zu kommunizieren; das Selbstvertrauen leidet massiven Schaden. Männer wie Frauen werden in ihrer Identität und in der Begegnung mit anderen Menschen massiv verunsichert und entwickeln dabei verschiedene Bewältigungs- und Vermeidungsstrategien: Rückzug (geduckte Haltung, ausweichender Blick, leise Stimme), Kontroll- und Machtorientierung (der Versuch, den Umgang mit andere zu kontrollieren, ohne Gefühle und Signale verstehen zu müssen, das Bedürfnis, sich durchsetzen zu können, um nicht unterzugehen), Ersatzsuche (vermehrte Identifizierung und "Belohnung" in Nebenbereichen: Putzfimmel, Suche von Freundschaften in der Pastoral, geheime Hobbys). Alle diese Strategien können eine Steigerung bis zum pathologischen Befund erfahren: Depressionen, suizidäres Verhalten, Süchte, Psychosen, Essstörungen, psychosomatische Erkrankungen...


Logischerweise suchen sich die nicht integrierten sexuellen Triebe früher oder später ihre eigenen Wege. Dort, wo keine Sanktionen drohen, wie bspw. im Internet, oder auf der Ebene des Unbewussten, in Phantasien und Gedankenspielen, die das alltägliche anonyme Miteinander überlagern und sich auch von den vielen Kleiderschichten der Schwestern nicht abhalten lassen. Wenn es in dieser Atmosphäre aufgestauter Lust dann tatsächlich zu sexuellen Übergriffen kommt, kann der Täter darauf vertrauen, dass sein Opfer sich scheuen wird, zu sprechen; falls er/sie es doch tut, kann er in jedem Fall darauf vertrauen, dass der Gemeinschaft ihr Image wichtiger ist als seine Bestrafung oder der Schutz der anderen Mitglieder. Ja, Patres, die dafür bekannt sind, dass sie sich nicht immer im Griff haben, sind sogar davor sicher, dass man sie auf derlei Verfehlungen anspricht - die Furcht, es könnte tatsächlich Vorfälle gegeben haben, mit denen sich die Leitung dann befassen und Konsequenzen für den (vielleicht verdienten) Mitbruder zu ziehen hat, ist zu groß. Man will sich nicht damit auseinandersetzen, lieber schickt man Schwestern in Psychotherapie, entlässt sie aus der Gemeinschaft oder zahlt ihren Familien "Schweigegeld".

Führerkult

Eines der Merkmale fundamentalistischer Gruppen ist Personen- oder Führerkult (Beinert: Führer kommt von Gott/ Führergehorsam; Weiß: Beharren auf der Autorität der Führerperson): der Anführer oder Gründer der Gruppe wird in übertriebener oder extremer Weise verehrt, Orte werden nach ihm benannt, Gedenktage werden ihm gewidmet, seine Biographie wird in eine Legende verwandelt, die die Ideologie der Gruppierung bestätigen und verherrlichen soll. Im Unterschied zur Heiligenverehrung ist der "Führer" dabei nicht eine Figur unter vielen, seine Verehrung entsteht nicht spontan, sondern wird bewusst inszeniert oder gar erzwungen, die Deutungshoheit über sein Leben, seine Schriften und Taten obliegt allein ihm selbst bzw. seinen Nachfolgern.

Alle diese Elemente des "Führerkultes" treffen auf Julia Verhaeghe und ihre Verehrung im Werk zu.

Die Präsenz ihres Namens und Bildes: In jedem Haus des Werkes, in dem mehr als vier Personen ständig leben, gibt es ein "Mutter-Julia-Zimmer", in das Besucher geführt werden, um dort "ihre Nähe" zu "erfahren". Vor allen Kapellen des Werkes hängen Bilder Verhaeghes. Jedes Mitglied, das nicht in einem Zentrum des Werkes lebt, muss in seinem Zimmer ein Bild Verhaeghes anbringen. Das Grab Verhaeghes in der Klosterkirche des Mutterhauses in Bregenz wird mit Kerzen und Votivtäfelchen regelrecht zum Wallfahrtsziel inszeniert.

Gedenktage: Der liturgische Kalender des Werkes ist gespickt mit Gedenktagen Verhaeghes, die oft wie Hochfeste begangen werden, das sind im Einzelnen:
18. Januar: am 18.01.1938 soll Verhaeghe eine mystische Vereinigung mit Cyrill Hillewaere erlebt haben, die sie dann den "Gründungstag" des Werkes nannte.
13. Mai: Namenstag Verhaeghes
16. Juli: Verhaeghe verließ an diesem Tag ihr Elternhaus.
29. August: Todestag Verhaeghes.
11. November: Geburtstag Verhaeghes.
13. November: Tauftag Verhaeghes.
Nicht nur diese spezifischen Verhaeghe-Gedenktage sind hier zu nennen, sondern auch die Tatsache, dass die Gedenktage, Feste und Hochfeste des liturgischen Kalenders zu Verhaeghe-Gedenktagen umfunktioniert werden: das Fest der Bekehrung Pauli etwa erinnert ebenso an die "Bekehrung" Verhaeghes als Jugendliche; das Hochfest des Herzens Jesu erinnert an das "Bündnis" Verhaeghes mit dem Herzen Jesu. Propheten-Gedenktage, die es im erneuerten liturgischen Kalender nicht mehr gibt (außer im Patriarchat Jerusalem), werden im Werk dennoch gefeiert, dazu eine Reihe anderer Feste aus dem "alten" Kalender, weil Verhaeghe mit diesen Festen persönliche Erinnerungen verbindet und sie für die von ihr entwickelte Spiritualität wichtig sind: Jesaja als Prophet der Bekehrung (Bekehrung natürlich im Sinne des dualistischen Menschenbildes des Werkes) oder Elia, der die Baalspriester getötet hat (Zeichen seiner Treue zu Gott in gottlosen Zeiten). Dazu kommen einige Gedenktage des von Verhaeghe besonders verehrten Papstes Pius XII. (Geburtstag, Todestag, Bischofsweihe).
Außerdem ist Verhaeghe direkt oder indirekt in allen Gebeten präsent, die die Mitglieder täglich sprechen: das Morgengebet und der Abendsegen sowie beinahe alle Gebete im wöchentlichen Gebetbuch sind aus Zitaten aus ihren Briefen zusammengesetzt, darüberhinaus wird im Abendsegen, im Dankgebet für das Charisma und in anderen direkt dafür gebetet, dass die Mitglieder ihrem Beispiel treu bleiben, sie als Mutter lieben, ihr Andenken bewahren, sich ihrer würdig erweisen etc.

Legendenbildung: Bis vor zehn Jahren gab es überhaupt keine schriftlichen "Quellen" zur Person Verhaeghes. Im Jahr 2005 erschien dann die Teilbiographie "Sie liebte die Kirche. Mutter Julia und die Anfänge der geistlichen Familie 'Das Werk'". Das Buch nennt keinen Verfasser und ist im Eigenverlag erschienen. Es ist eine ganz klare Legendenbildung, die bewusst auf eine lange zurückliegende Zeit verweist (1910 bis 1950) und die gesellschaftlichen Umbrüche der 60er Jahre sowie die Konzils- und Nachkonzilsjahre meidet. Dabei verstarb Verhaeghe erst 1997, und die Gemeinschaft begann 1950 gerade erst so zu existieren. Erzählt wird also hauptsächlich die Kindheit und Jugend Verhaeghes in der Kriegs- und Nachkriegszeit.
Verhaeghe wird im Stil einer Heiligenlegende als Berufene und Auserwählte, Leidende, Sich-Bekehrende, Weise, Inspirierte und Weitsichtige, dargestellt. Jedes Kapitel ihres Lebens ist zugleich ein Wesensmerkmal der Spiritualität des Werkes. Kritik, Differenzierungen, offene Fragen, verschiedene Perspektiven sucht man in diesem Buch vergebens. Verhaeghe wird inszeniert.
Dazu kommt, dass niemandem innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft eine eigene Meinung zu Verhaeghe zugestanden wird. Ihre Texte befinden sich samt und sonders im Privatarchiv des Werkes, zu dem nicht einmal die "normalen" Mitglieder des Werkes Zugang haben. Von dort dringen nur Zitate heraus, die "massentauglich" und der Verehrung Verhaeghes zuträglich sind. Diese werden dafür umso eifriger verbreitet. Wer sie wirklich war, was sie wirklich geschrieben, gedacht und gesagt hat, ist für Mitglieder wie Außenstehende gleichermaßen rätselhaft. Dies umso mehr, als ehemalige Mitglieder aus der damaligen Zeit ihr z. T. massive Vorwürfe machen, zu denen das Werk aber bisher keine Stellung genommen hat.

Inszenierte Verehrung: Das Werk druckt massenweise "Worte" Verhaeges, Novenen und Gebetsbildchen. Seit Jahren werden alle Mitglieder des Werkes dazu aufgefordert "Zeugnisse" über Verhaeghe zu sammeln, also Berichte von Personen, die Erinnerungen an Verhaeghe haben oder sich von ihrer "Lebensgeschichte", ihrer "Person" oder ihren "Worten" angesprochen fühlen. Die Assoziierten des Werkes werden an ihr Grab und in ihr Zimmer geführt, bekommen Vorträge über sie zu hören, müssen sich darüber äußern, was ihnen "Mutter" bedeutet und wie sie ihre "Hilfe" erfahren. Priester des Werkes, die auswärts die Messe feiern und predigen, werden dazu angehalten, in ihren Predigten über Verhaeghe zu sprechen. Fast das gesamte "Apostolat" des Werkes geschieht mit Worten Verhaeghes oder gar mit dem Ziel, Gläubige zu Verhaeghe-Verhehrern zu machen. Dabei hält sich die Zahl selbst derer, die nach gezielter Werbung ein "Zeugnis" geben oder an ihr Grab kommen, sehr in Grenzen. Von "spontaner Verehrung" kann keine Rede sein.

Warum Führerkult gefährlich ist: Wenn der Führer zum letzten Maßstab für dir Moral und das Handeln einer Gemeinschaft wird und noch dazu die Deutungshoheit über die Worte und den Willen des Führers bei diesem selbst oder einer kleinen Gruppe liegt, die die Verantwortung für die Leitung der Gemeinschaft innehat, ist Willkür und Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Mitglieder können sich nicht gegen Beschuldigungen oder Anforderungen wehren, die unter Berufung auf den Führer an sie gerichtet werden. Sie können weder auf andere Maximen rekurrieren, auch nicht auf biblische oder kirchliche, da die Auslegung solcher anderer Maximen wiederum von der Leitung gemäß den Worten Verhaeghes getroffen wird, die unbedingt gelten. Mitglieder des Werkes können sich weder auf Worte Verhaeghes berufen, die sie nicht kennen (der Zugang zu ihren Texten ist streng geregelt) noch auf andere Interpretationsmöglichkeiten ihrer Texte, da allein die Leitung entscheidet, wie die Texte auszulegen sind. So kann unter Berufung auf Verhaeghe schließlich alles mögliche gerechtfertigt und von den Mitgliedern gefordert werden, von der Vorenthaltung medizinischer Versorgung über den erzwungenen Kontaktabbruch zur eigenen Familie bis hin zur Vertuschung von sexuellem Missbrauch.


Schwester im Werk von 1967 bis 1974 - Schluss



Nach und nach beunruhigten mich diese Erfahrungen immer mehr. Ich fing an zu zweifeln. Immer wieder dachte ich auch, ich hätte Unrecht, und es wäre der Teufel, der versuchte, mich ins Wanken zu bringen. Es war mir nicht möglich, mit jemandem darüber zu sprechen. Mit wem denn? Mir wurde klar, dass alle Brücken abgebrochen waren. Würde ich mit meiner Verantwortlichen darüber sprechen, konnte ich mir ausrechnen, was mich erwartete. Und mit einem anderen Mitglied der Gemeinschaft zu sprechen, war noch viel riskanter. Ich merkte ja selbst, wie die ein oder andere ab und zu eine schwierige Phase durchmachte, und versuchte dann, so umsichtig wie möglich mit ihnen umzugehen. Ich wollte ihnen nicht noch mehr schaden... Einen Priester um Rat fragen? Das Werk sortierte alle Priester in zwei Gruppen: die „Guten“, die dem Werk wohlgesinnt waren und zum Teil eingeweiht wurden, und die „Schlechten“, die unbedingt gemieden werden mussten. Außerdem erkannte ich, dass ein Außenstehender das Problem nicht begreifen können würde. Nach und nach realisierte ich, dass ich gefangen war. Ich war verzweifelt. Es gab keinen Ausweg. Ich bräuchte ein vielfaches meiner Kraft: erstens, um meine Aufgaben im Werk weiter wahrzunehmen (und meine Aufgaben als Verantwortliche entsprachen mehr als einer Vollzeit-Stelle), außerdem brauchte ich genug Kraft, um ganz allein mit meinen Zweifeln fertig zu werden, so unerträglich sie werden konnten, und schließlich brauchte ich sehr viel Kraft, um mein „Doppelleben“ durchzuhalten. Ich wusste, dass nichts davon bemerkt werden durfte.



Heute, wo ich weit weg vom Werk bin, ist mir klar, dass es durchaus andere Wege und Möglichkeiten gegeben hätte, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Was ich erfahren habe, war das Resultat von Manipulation, ja von Gehirnwäsche: Man kann beim besten Willen nicht mehr normal denken; der Blick auf die Realität ist durch die jahrelange Beeinflussung völlig getrübt. Er ist von Angst geprägt, die als subtiler Faktor alles mitbestimmt. Mir ist klar geworden, wie sehr Sektenmitglieder mit den Schritten zu kämpfen haben, die sie gehen müssen und bei denen ihnen niemand helfen kann. Auch Selbstmordversuche von Menschen in Sekten oder in religiösen Bewegungen mit sektenähnlichen Praktiken wundern mich nicht. Ich selbst spielte oft mit dem Gedanken in dieser Zeit von Verzweiflung und Aussichtslosigkeit.


Es war August 1974. Da geschah etwas, was so gut wie nie geschah: Mikle Strolz sagte, dass ich eine Woche lang allein in Innsbruck bleiben sollte. Das Werk war emsig mit der Vorbereitung eines Newman-Kongresses in Rom beschäftigt. Die Kontaktadresse für evtl. freiwillige Mithelfer war damals Innsbruck. Ich sollte also da bleiben, um diese Personen aufzunehmen. Damals dachte ich: Das ist die Chance! Ich muss hier weg! Wenn ich es jetzt nicht tue, dann gelingt es nie mehr und dann drehe ich endgültig durch. Was sich damals abspielte ist unmöglich zu beschreiben. Völlig verzweifelt suchte ich Kontakt zu meinen Brüdern. Ich musste eine Telefonnummer finden. Wie macht man das, wenn man sieben Jahre lang nichts mehr voneinander gehört hat? Wahrscheinlich waren sie inzwischen verheiratet, hatten Kinder. Würden sie bereit sein, mir zu helfen? Was sollte ich tun? Nein, besser keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen. Besser, ich suche mir eine Arbeitsstelle irgendwo in Österreich oder Norditalien. Aber ich besaß ja nichts. Ich kannte niemanden. Doch die Telefonnummer suchen? Als ich über die Auskunft eine Nummer bekommen hatte, hörte ich völlig unerwartet, die Stimme meiner Mutter am anderen Ende der Leitung. Ich kann nicht ausdrücken, was da in mir vorging. Mit einem Mal fiel alles von mir ab. Darf ich zurückkommen? Geht das noch? Was würde meine Mutter sagen? Ja, ich durfte zurückkommen, unter der Bedingung, dass ich das Werk definitiv verlassen würde. Da kam die Angst zurück. Ich beschwor meine Mutter, dass sie absolut niemandem sagen durfte, dass ich sie angerufen hatte. Ich konnte ihr nicht erklären, wie das Kontrollsystem des Werkes funktionierte. Ich konnte ihr nicht erklären, dass es in ihrer unmittelbaren Umgebung Priester gab, zu denen sie zwar Vertrauen hatte, die aber das Werk unterstützten. Ich wollte noch drei Tage in Innsbruck bleiben, denn ich fühlte mich dem Werk gegenüber nach wie vor zur Loyalität verpflichtet. Ich wollte meine Aufgaben für den Newman-Kongress erst zu Ende bringen. Die drei Tage wurden mir zur Hölle. Mir kamen Zweifel. Ich wollte doch nicht flüchten. Und ich konnte oder durfte niemandem etwas sagen. Ich hatte Albträume. Was hatte ich getan? Ich hatte das Werk verraten! Nein, nein, ich hatte richtig gehandelt. Ich würde das Auto nehmen und damit nach Berchtesgaden fahren. Von dort wollte ich alle Dokumente mitnehmen, die ich im Lauf der Jahre unterschrieben hatte, damit das Werk mich damit nicht belangen konnte. Es schoss mir durch den Kopf, dass ein normales Mitglied, diese Möglichkeit nicht hatte. Aber ich mit meiner Stellung im Werk konnte alle meine persönlichen Dokumente, meine Zeugnisse usw. mitnehmen.


Als ich wieder in Innsbruck war, kamen die Zweifel wieder. Die Angst. Aber ich konnte nicht mehr zurück. Ich schloss die Buchhaltung gewissenhaft ab. Ich wusste, dass sie mich den anderen Mitgliedern gegenüber als gewissenlose Person hinstellen würden, die mit viel Geld abgehauen war. Dieses Lied hatte ich ja früher schon gehört. Ich nahm keinen Pfennig mehr mit als das Zugticket kostete. Damit niemand mich sehen würde, beschloss ich den Nachtzug zu nehmen. Als ich ging, konnte ich die Hausschlüssel nicht zurücklassen, falls etwas geschehen würde, was mich zum Umkehren zwingen könnte. Als der Zug schon eine weite Strecke in Deutschland zurückgelegt hatte, warf ich die Schlüssel aus dem Fenster. Ich traute mich nicht geradewegs den Zug nach Brüssel zu nehmen. Vielleicht hatten sie meine Flucht bemerkt und erwarteten mich auf einem der Bahnhöfe auf dem Weg? Nach einem großen Umweg durch Deutschland und die Niederlande kam ich schließlich in Belgien an.


So kam ich wieder nach Hause. Trotz dem heftigen Streit vor sieben Jahren hießen sie mich willkommen. Das war meine Rettung. Die Türen standen wieder weit offen. Sie nahmen mich auf ohne Fragen zu stellen. Sie spürten, dass ich in diesem Moment keine Fragen beantworten und nichts erklären konnte. Sie haben mir die Zeit gegeben, die ich brauchte, um diese Erfahrung zu verarbeiten. Sie haben mir die Chance gegeben, alles wieder ins Lot zu bringen. Es waren ungefähr zwei Jahre, die nötig waren, um mich von den schrecklichen Folgen meiner Erfahrungen im Werk zu lösen. Es wundert mich nicht, dass es Menschen gibt, die ihr ganzes Leben lang von solchen Erfahrungen gezeichnet sind. Wie muss es erst Menschen ergehen, die nach mehr als zwanzig Jahren vom Werk „aussortiert“ oder rausgeworfen werden? Wie verarbeiten es Mitglieder, die nach vielen Jahren im Werk zur Ernüchterung kommen? Was tun sie, wenn ihre Eltern, Geschwister oder Bekannten von früher nicht mehr da sind oder nicht bereit, ihnen zu helfen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten?