Was will dieser Blog?

Dies ist der Blog ehemaliger Mitglieder des "Werkes". Er enthält Geschichten, Tatsachen und Erfahrungen, die vom "Werk" sorgfältig verschwiegen oder geleugnet werden. Er sei jedem ans Herz gelegt, der mit dem "Werk" in Kontakt kommt.

Noviziat, Ausbildung Formung. Ideal und Realität.


Noviziat, Ausbildung und Formung.


Ideal und Realität.
Das Noviziat im „Werk“ hat zum Ziel, dass die Novizen nach den Prinzipien des „Werkes“ und seiner Spiritualität auf ein Leben in den evangelischen Räten in der Gnade des „Heiligen Bündnisses“ mit dem Herzen Jesu vorbereitet werden. Die Novizen sollen zu jenem Gesinnungswandel hingeführt werden, den der Apostel Paulus mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst. Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12,1-2). Das Wort Noviziat erinnert die Novizen daran, dass sie zu einer umfassenden Bekehrung und Neuwerdung in Christus berufen sind. Durch ihr Streben nach Heiligkeit (vgl. 2 Kor 7,1) tragen sie zur Heiligkeit der Kirche bei.

Die Novizen betrachten die geistliche Familie „Das Werk“ als ihre neue Familie, die sie mehr und mehr lieben sollen (vgl. Mk 3,31-35). Sie müssen bereit sein, in der Kraft des Glaubens ihre bisherige Lebenswelt zu verlassen (vgl. Mk 1,16-20; Lk 9,62), um in ihrer neuen Familie in die Schule Jesu zu gehen, seine Freunde zu werden und für ihre Sendung als Gottgeweihte vorbereitet zu werden. Um des Herrn willen sollen sie Gewohnheiten und Mentalitäten aufgeben, die mit der Nachfolge Christi nicht vereinbar sind.
 - Konst. V, 1 und 3. 


Die Formung im Werk, wie sie hier am Beginn des 5. Kapitels der Konstitutionen beschrieben wird, ist ganz getragen von der Absicht, die neuen Mitglieder im Geiste der Spiritualität des Werkes zu erziehen. Das heißt nicht einfach nur, dass sie eine Ausbildung erhalten oder eine Spiritualität kennenlernen, dass sie in eine neue Lebenswelt eintauchen und lernen, sich in ihr zurechtzufinden und sich in sie einzubringen. Es heißt vielmehr, wie das schon im Pauluszitat aus dem Römerbrief deutlich wird: den Wandel des Denkens. Außerdem eine Bekehrung im Sinne einer "schmerzhaften" Selbstverleugnung, wie das das Zitat Verhaeghes nahelegt, das in der Fußnote zum eben zitierten Text enthalten ist:

Wir leben in einer Mentalität, die bewusst oder unbewusst die Dinge vom Ich aus betrachtet, in einer Mentalität, die das Licht über die Folgen der Ursünde in uns mit allerlei Motiven und beschönigenden Namen trübt. Wenn wir Gott lieben mit unserem ganzen Herzen, mit unserer ganzen Seele und mit allen unseren Kräften (vgl. Dtn 6,5), dann werden wir der heilenden Selbstverleugnung kein Hindernis entgegensetzen, wenn uns auch der läuternde Schmerz nicht erspart bleiben wird; doch dieser gereicht uns zum Heil.
 - Zitat Verhaeghes in der Fußnote zu Konst. V, 3.


Das Noviziat. Das Ideal.

In die Nachfolge Jesu einzutreten und sich zu diesem Zwecke einer Gemeinschaft anzuschließen, die ein eigenes Charisma besitzt, heißt nicht nur einen neuen Lebensabschnitt beginnen, es heißt das eigene Leben von Grund auf neu auszurichten, sich vertrauensvoll und bedingungslos dem Willen Gottes zu überlassen, die Konfrontation mit sich selbst und den eigenen Fehlern und Schwächen nicht zu scheuen und sich gerne zurechtweisen und helfen zu lassen, um dem Ideal der eigenen Berufung immer mehr zu entsprechen, um immer hellhöriger zu werden für den Willen Gottes, um immer sicherer auf dem Weg des geweihten Lebens voranzuschreiten und anderen Menschen immer besser Orientierung geben zu können.

Man wird zu einem anderen Menschen, legt alte Gewohnheiten ab und nimmt neue an, verliert alte Bekanntschaften und macht neue, verliert alte Ansichten und gewinnt neue Einsichten. Man kleidet sich anders, spricht anders, lebt anders, denkt anders - ist anders, man ist ein neuer Mensch geworden. 

Das Noviziat. Beobachtungen.


Zur Skepsis veranlasst hier vielerlei: die Rede vom "Neuen Denken", von der "neuen Familie", von der "umfassenden Bekehrung, von der Pflicht "Gewohnheiten" und "Mentalitäten" aufgeben zu müssen. An und für sich kann all dies vernünftig und angebracht sein. Inwieweit es das ist, hängt aber von den konkreten Umständen ab: ist der Einzelne frei? Ist es er selbst, der sich zu diesem neuen Denken und Leben hinentwickelt oder wird es ihm von außen aufgedrängt? Werden seine Bedenken und Gefühle ernstgenommen? Was genau heißt "neues Denken" und wie kommt man dazu? Welche Gewohnheiten müssen aufgegeben werden? usw. 

So wie die "Formung neuer Mitglieder" im Werk vor sich geht, gleicht sie eher der Umerziehung von Menschen, die in eine Sekte geraten sind. Die Schritte sind dieselben: 

Isolation. Zuerst wird das neue Mitglied von seiner bisherigen Umwelt so weit wie möglich abgeschnitten und isoliert, oft wird es in ein anderes Land verschickt (von Österreich nach Rom, von Deutschland nach England, von Belgien nach Jerusalem); alle "Kontakte" (alte und evtl. neu dazu gewonnene) werden nun von der Gemeinschaft kontrolliert und "besprochen", sodass einige sofort aufgegeben werden müssen und andere nur noch unter bestimmten Bedingungen zugelassen sind; Telefonate mit den Eltern etwa, dürfen nur selten und nur nach vorheriger Nachfrage stattfinden, der Inhalt der Gespräche muss mitgeteilt und Briefe müssen vorgelegt werden. Innerhalb kürzerster Zeit hat das neue Mitglied im Werk keinen freien Zugang zu seiner Familie, Freunden und Bekannten mehr. Die Kontakte werden oberflächlich. Das neue Mitglied ist erfolgreich einzig auf seine "neue Familie" angewiesen, eine andere hat es nicht mehr. Es ist von der Außenwelt isoliert. 

Diese Isolation findet ihre Fortsetzung innerhalb der Gemeinschaft, da persönlicher Austausch zwischen den Mitgliedern nicht möglich ist. Freundschaften und persönliche Gespräche sind verboten. "Öffnen" darf sich das einzelne Mitglied nur gegenüber "seinem" Verantwortlichen. Damit beginnt der nächste Schritt der "Formung":

Manipulation. Dem Verantwortlichen kann das Mitglied nicht nur alles sagen: es muss. Regelmäßige Berichte werden gefordert, wöchentliche, monatliche, jährliche. Über alles, insbesondere über das eigene Innenleben muss Rechenschaft abgelegt werden, ebenso wie über evtl. "Auffälligkeiten" bei anderen - über alles, auch über die Gefühle und Eindrücke des Novizen beansprucht der Verantwortliche Deutungshoheit. Zugleich wird das "Ideal" kommuniziert: der Eliteanspruch, die Bekehrung hin zum "neuen Menschen", die bedingungslose Hingabe, das Vertrauen zu den Verantwortlichen, Askese und Selbstverleugnung, Eifer und Ausdauer beim Arbeiten, Folgsamkeit und "Strahlkraft" - das alles wird erwartet. Wer es nicht schafft, wird gerügt. Jedes neue Mitglied möchte dieses Ideal erfüllen, es strahlt - auch dann, wenn es sich nicht wirklich glücklich fühlt, ist fleißig, auch wenn ihm die Kraft ausgeht, übt Selbstverleugnung z. T. über die Maßen, bringt Vertrauen auf, selbst dann, wenn ihm etwas merkwürdig vorkommt, beschwert sich nicht, auch wenn es sich verletzt fühlt - bis es nicht mehr kann. Dann kommt der nächste Schritt:

Psychischer Druck. Wer nicht mehr kann, wird unter Druck gesetzt. Er glaubt zunächst, dass er selbst Schuld ist, dass es die Erbsünde in ihm ist, seine schlechten Neigungen, seine gefallene Natur. Nicht alle schaffen es, sich von diesem Vorwurf zu befreien und ihre aller normalsten Empfindungen zu verteidigen: Erschöpfung, weil zuviel gearbeitet werden muss; Einsamkeit, weil keine persönlichen Kontakte möglich sind; Verletzung, weil die eigenen Gefühle und Fähigkeiten nicht wahrgenommen werden etc. Die Verantwortlichen lassen das alles nicht gelten, sondern verweisen auf die vermeintlich mangelnde Gottesliebe und Einsatzbereitschaft des Mitgliedes, sie machen Druck, setzen Fristen, drohen mit Vertrauensentzug und zeigen sich enttäuscht. - Manche Menschen brechen an diesem Punkt zusammen und werden aus der Gemeinschaft "geworfen". Andere verlassen die Gemeinschaft. Wer an diesem Punkt den Weg aus der Gemeinschaft nicht findet, wird zu einem gebrochenen Menschen. Er muss damit leben und lässt es zu, dass sein Innerstes ständig von Außen kontrolliert und vergewaltigt wird. Solche Mitglieder "funktionieren" im System der Gemeinschaft, sie lassen sich ohne Rücksicht auf ihre Gefühle, ihre Persönlichkeit und Begabungen hier und dort hin- und her versetzen, lassen sich alles nehmen, alles mit sich machen und tun nie den Mund auf. Zugleich sind sie aber gerade deswegen auch nur begrenzt im Kontakt mit der Außenwelt einsatzfähig, viele arbeiten ausschließlich intern.

Missbrauch. Wer einmal so gebrochen ist, ist kaum mehr in der Lage, sich zu wehren oder überhaupt nur seine eigenen Empfindungen selbst wahrzunehmen. Er hat sein normales Gefühlsleben, sein eigenes Denken und Wollen verloren, hat es abgewöhnt bekommen und findet keine Zugang mehr zu sich selbst, geschweige denn zu anderen. Er weiß nicht, wie er auf andere wirkt, er weiß ja nicht einmal mehr, wie er sich selber fühlt: er hat alle Maßstäbe verloren, weil der einzige Maßstab das Wort seiner Verantwortlichen ist. Deshalb ist dem Einzelnen sein eigener Zustand ab einem bestimmten Punkt auch nicht mehr bewusst. Das heißt: er ist in jeder Hinsicht missbrauchbar. 

Dazu kommt, dass er auch rechtlich völlig ausgeliefert ist: er hat keine Ansprüche gegenüber dem Werk, weil er niemals wirklich endgültig als Mitglied aufgenommen wird (solange noch irgendeine Gefahr besteht, dass er zu sich kommen und die Gemeinschaft verlassen könnte). Dennoch unterzeichnet er jedes Jahr von Neuem, dass er freiwillig in der Gemeinschaft bleiben will, dass er freiwillig seinen ganzen Besitz aufgegeben hat und das Werk alles erben wird, was er jemals evtl. besitzt. Er darf mit niemandem reden, niemand darf mit ihm reden, er darf kein Tagebuch führen und nicht einmal darüber nachdenken, wie er sich fühlt. Alles, was mit ihm geschieht, wird vom Werk gedeutet und erklärt, und er muss die Deutung des Werkes annehmen. Er tut das auch, weil er es so gelernt hat: er hat gelernt, seinen eigenen Wert von der Beurteilung seiner Verantwortlichen abhängig zu machen und nichts anderes mehr zu wollen, als ihnen zu entsprechen, egal, was mit ihm geschieht. - Das ist das Ziel des Noviziates: aus Menschen willenlose Werkzeuge zu machen.



Die "unaufgebbare heilsgeschichtliche Bedeutung Roms"


Als erster Beleg einer ganzen Reihe fundamentalistischer Tendenzen soll eine Predigt dienen, die ein Priester des Werkes vor einem knappen Jahr gehalten hat: die unaufgebbare heilsgeschichtliche Bedeutung Roms

In dieser bemerkenswerten Konstruktion der heilsgeschichtlichen Notwendigkeit Roms für die Kirche und des "heilsgeschichtlichen Vorrangs" der Kultur des alten Roms, scheint zunächst ein gewisser Integralismus auf: Rom bekommt eine Bedeutung zugewiesen, die es theologisch nüchtern betrachtet nicht hat: die Tatsache, dass Petrus und Paulus ihr Martyrium in Rom erlitten, ist historisch-kontingent. Eine tiefergehende, gar unaufgebbar notwendige weil gottgewollte ("definitive und unumkehrbare Fügung Gottes") Bedeutung kann man ihr theologisch nicht zusprechen. 

Weiter ist der Zusammenhang zum Kreuz als römischem Marterwerkzeug, und insbesondere der Zusammenhang zwischen dem römischen Imperialismus und der christlichen Weltmission bestenfalls als "gewagt" zu bezeichnen, tatsächlich ist er abwegig. 

Die aufwendige Diskussion darum, ob es eine Lehraussage der katholischen Kirche sei, dass sie ihr "Zentrum" in Rom haben müsse, zeigt ein weiteres Merkmal des Fundamentalismus: alles wird zur Wahrheitsfrage stilisiert. Und: stellt man dies in Frage, scheint zugleich alles in Frage gestellt. Eine Kirche, die ihr Zentrum nicht mehr in Rom hätte, wäre - so scheint es - nicht mehr die wahre Kirche. 

Der Grund, aus dem diese Aussage getroffen wird, offenbart sich in den letzten Absätzen dieser außergewöhnlich langen Predigt: 
Allergisch reagieren heute liberal gesinnte Köpfe, wenn Papst Benedikt das Zweite Vatikanische Konzil stärker in Kontinuität zur vorausliegenden Tradition sehen will. Denn eine der Folgen davon ist eben auch, dass das ungebrochene Erbe Roms wieder an Gewicht im kirchlichen Leben und Empfinden gewinnt, und somit eine Autoritativität, die man genau nicht will.
Hier scheinen die nächsten Merkmale des Fundamentalismus auf: Traditionalismus (die heutigen Geistesströmungen werden abgelehnt und ein altes Prinzip wird beschworen), die zwiespältige Haltung zum Zweiten Vatikanischen Konzil

Dazu kommen weitere: Die Vermutung, es gäbe eine ungeheuer starke irgendwie anonyme Bewegung, die Bedeutung Christi und der Kirche "zurückzudrängen", diese würde sich auch schon innerhalb des Christentums bemerkbar machen, indem "man" Anschluss beim Judentum suche, ist völlig unbegründet und verrät Angst und Irrationalismus:
Ungeheuer stark und vielschichtig sind die Versuche, die universale Bedeutung Jesu Christi, ja der ganzen katholischen Wahrheit, zurückzudrängen. Auch innerhalb der Christenheit ist die geistige Mentalität vielfach umgebogen: Die Wegrichtung läuft nicht mehr von Jerusalem hin nach Rom, sondern man kehrt die Richtung um 180 Grad um: Man kehrt Rom vielfach den Rücken und sucht den Anschluss bei den Juden auch auf der Glaubensebene (also weit mehr als einen berechtigten Dialog mit ihnen). Man will das Christentum als beliebige Alternative zum Judentum hinstellen.
Zudem offenbaren diese Äußerungen eine problematische Haltung zum Judentum, die vermuten lässt, dass man hier auch mit dem Merkmal Ablehnung von Ökumenismus, Toleranz, Religionsfreiheit rechnen muss.

Schließlich liegen einige Kernelemente fundamentalistischer Mentalität in der abschließenden Beschwörung:
Und nun, liebe Schwestern und Brüder, verstehen wir das Charisma des „Werkes”, wenn das Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus heute festlich begangen wird, wenn mit glühender Liebe Rom als das Herz der Kirche bezeichnet wird, wenn beständig für den Heiligen Vater gebetet wird, wenn unsere Hingabe immer auch der Reinerhaltung der katholischen Lehre gilt.
Hier lassen sich Festungsdenken, Hierarchiegehorsam, feste Sätze, Lehramtsfundamentalismus ("reine Lehre"), Selbstsicherheit und Elitarismus feststellen.





Schwester im Werk von 1967 bis 1974 - Teil III


Als ich einige Monate im Werk war, hatte ich also nur noch Kontakt zu Menschen, die vom Werk gutgeheißen worden waren. Was diese Menschen anging, sollte ich nur „für sie beten“ und damit beweisen, dass ich für das Werk „Frucht tragen“ konnte. Später wurde mir klar, was für ein Druck dadurch ausgeübt wird, dass man diesen „Beweis“ bringen muss: man setzt fieberhaft alles in Bewegung, um Kandidaten für das Werk zu finden und beginnt selbst Druck auf sie auszuüben.


Je länger ich im Werk war desto mehr wurde mir auch bewusst, was für eine mysteriöse Atmosphäre um „Mutter“ aufgebaut wurde. Wenn einer ihrer Besuche geplant war, dann befand sich alles im Haus in nervöser Agitation. Sie wurde angebetet. Jedem wurde eingebläut, wie außergewöhnlich es war, in ihrer Nähe sein zu dürfen. Wenn sie sprach, musste alles in den Hintergrund treten und jeder musste schweigen.


Das Werk nahm mich immer mehr in Beschlag. Automatisch filterte ich alles, wie sie es mir vorschrieben. Nach wie vor war ich mit einigen anderen in Rom in einer bevorrechtigten Position; und obwohl ich das merkte, war ich überzeugt, dass jedes Mitglied seinen eigenen Auftrag hatte. Menschen kamen und gingen, aber keines der „einfachen“ Mitglieder stellte Fragen. Es galt ja die Regel: Persönliches wird ausschließlich mit dem Verantwortlichen besprochen. Untereinander über persönliche Angelegenheiten zu sprechen gehört sich nicht; es kann die eigene Berufung gefährden. Mich machte das alles immer noch nicht skeptisch.


Mit Erfolg hatte ich meine Studien in Rom abgeschlossen und war voller Eifer, nun meine Talente in den Dienst des Werkes zu stellen, das nach dem Zweiten Vatikanum die Rettung der Kirche war. Im Laufe der Zeit hatte ich aber – immer auf Anordnung der Verantwortlichen – einiges zu Papier gebracht. Zum Beispiel musste ich jedes Jahr von neuem schriftlich darum ansuchen, weiterhin Mitglied des Werkes bleiben zu dürfen. Außerdem unterschrieb ich ein Dokument, in dem ich mich zum Verzicht auf meinen ganzen Besitz bereit erklärte, und zwar sowohl gegenwärtig (ich hatte ja gar nichts) als auch „zukünftig“. Später erfuhr ich, dass das Werk Gott-weiß-woher mehr über den Besitz meiner Eltern wusste als ich selbst. Außerdem hatte ich – wie jeder andere auch – eine Monatskarte, auf der ich alle meine Ausgaben festhalten und mitteilen musste! Das reichte von den „Lebenshaltungskosten“ bis hin zu Reisekosten, obwohl alle Reisen nur auf Anordnung gemacht wurden, andere waren ja gar nicht möglich. Für alles gab es feste Summen: Bücher, Seife, Kleidung... bis ins Kleinste. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um sich auszumalen, dass die Gesamtsumme dieser Monatskarten nach einigen Jahren beträchtlich hoch war. Als ich mein Studium beendete, musste ich nun also unterschreiben, dass ich dem Werk sämtliche Ausgaben erstatten würde, würde ich das Werk jemals verlassen. Das war nur eine Formalität, sagte die Verantwortliche, wir vertrauten einander ja... man wüsste aber nie, was in dieser schlechten Zeit nicht alles geschehen könnte. Ich merkte nicht einmal, dass ich alles trotzdem im Auftrag des Werkes tat. 


Fortsetzung hier

Sühneakt der Priester und Gottgeweihten des "Werkes"

Sühneakt

Der Sühneakt, der regelmäßig von den Religiosen im Werk gebetet wird, zeigt deutlicher als die meisten anderen Gebete das Selbstverständnis des Werkes und seiner Mitglieder. Die Welt und die Kirche werden geradezu erdrückt von den Sünden der Menschen - und die Aufgabe der Mitglieder des Werkes ist es, diese Sünden zu sühnen. Das tun sie, indem sie über ihre eigenen Sünden zerknirscht sind, "Tag und Nacht" in das Leiden Jesu "eintreten" und zu gefügigen "Werkzeugen" für den Aufbau des Werkes werden.

Mit dieser Grundvision ist ein derart drückender Selbstanspruch formuliert und ein so dramatischer Horizont aufgemacht, dass jede kleine Schwäche eines Mitgliedes die Rettung der ganzen Kirche und das Heil vieler Seelen gefährden kann. Insbesondere die Formulierung im letzten Absatz ist verdächtig: man mag sich fragen, ob bzw. inwiefern sich das "Werk" hier mit dem "Werk der Erlösung" gleichsetzt. 


Herz Jesu, König und Mittelpunkt aller Herzen,
nimm durch unsere Sühne die Sünden der Welt hinweg.

Wir bringen dir diese innere Bereitschaft dar, die unserem Willen entspringt, der von deiner barmherzigen Gnade ergriffen worden ist.

O guter Jesus, König und Mittelpunkt aller Herzen,
nimm unsere Sühne als Wiedergutmachung für unsere eigenen Sünden und unsere persönliche Undankbarkeit wie für jene der ganzen Welt an.

Ich will als Berufene(r) und Gottgeweihte(r) ganz dem "Werk" als Familie Gottes angehören und es freudig und großmütig mit allen meinen Kräften und Möglichkeiten aufbauen.
Tag und Nacht will ich in dein erlösendes Leiden miteintreten, selbstlos dienen und am Aufbau deines "Werkes" mitarbeiten. Lass mich so Genugtuung leisten für meine eigenen Verirrungen und Sünden und für jene meiner Brüder und Schwestern in der ganzen Welt.

Wie es einer Familie Gottes würdig ist, will ich daran mitwirken, dass die Einheit und der Friede Christi in der Liebe und Barmherzigkeit wiederhergestellt werden.

Nimm meine Bereitschaft zur Sühne für jene an, die schwach geworden sind oder sich verirrt haben, auf dass sie zu deiner Kirche, unserer Mutter, die so reich an Gnaden ist, zurückfinden. In ihr entströmen deinem Herzen die Wasser des Lebens, damit alle auf dem von deinem Licht erleuchteten und sicheren Weg des Glaubens und der Wahrheit voranschreiten können, der zu der einen Herde, der Kirche des Guten Hirten, zur Heimat der Liebe, der Einheit und des Friedens führt.

Herz Jesu, geduldig und voll Erbarmen, sanft und demütig, mache unser Herz gleich deinem Herzen. Erhöre unser Flehen und nimm unsere tiefe Reue über unsere Sünden und unsere Undankbarkeit gnädig an.

O Herz Jesu, geduldig und voll Erbarmen, mache uns durch unsere Hingabe in deinem "Werk der Erlösung" zu sanften und demütigen Werkzeugen deiner Barmherzigkeit. Amen.

Julia Verhaeghe

Schwester im Werk von 1967 bis 1974 - Teil II


Gemeinsam mit vier anderen, die neu in die Gemeinschaft eingetreten waren (unter ihnen war auch Lieve Bommerez), erhielt ich in Villers eine vier Wochen dauernde Formung. Anschließend kamen Lieve und ich nach Rom; wir sollten dort am Institut „Regina Mundi“ ein Aufbaustudium machen. Damals schon gab es einige Kleinigkeiten, die mich hätten stutzig machen können, für die ich aber anscheinend blind war... z. B. musste ich bei der Gründerin, die von allen nur „Mutter“ genannt wurde, schriftlich darum anfragen, nach Rom gehen zu dürfen, obwohl sie das ja selbst beschlossen hatte. Das Werk brachte mich dazu, selber schriftlich um Erlaubnis zu bitten, das tun zu dürfen, was sie mir zuvor aufgetragen hatten zu tun. Falls ich Schwierigkeiten bekäme, würde ich dem Werk niemals nachweisen können, dass sie es waren, die mich nach Rom geschickt hatten. Ein anderes Beispiel: Tagelang lagen mir verschiedene Mitglieder damit in den Ohren, dass sie nach und nach so weit gekommen waren, alles „abzugeben“, wie glücklich sie sich fühlten, „eins“ mit den anderen und wie unwohl sie sich gefühlt hatten, solange sie nicht alles abgegeben hatten usw. Was mich betraf, so hatte ich von daheim nur Kleidung mitgebracht, einige Bücher und ein paar Erinnerungsgegenstände. Eines Tages beschloss ich, auch das Letzte davon abzugeben, und selbst da verlangte meine Lokalverantwortliche von mir, es ihr schriftlich zu geben, dass ich das selbst wünschte. Ich begriff damals noch nicht, welches Spiel da gespielt wurde, das kam erst später.


Wir studierten an Regina Mundi, wo man einen Magister in Religionswissenschaft machen konnte. An diesem Institut konnten auch Frauen studieren, was damals an der Gregoriana noch nicht möglich war. 
Der Unterricht erfolgte in vier Sprachen. Das Leben war wunderbar, alles war, wie ich es mir gewünscht hatte. Ich durfte studieren, und das bereitete mir große Freude. Zwei andere Studentinnen und ich wurden von einer ganzen Reihe Aufgaben befreit. Dabei sahen wir aber, dass andere Mitschwestern Tag und Nacht hart arbeiteten. Aber man brachte uns bei, dass jedes Mitglied seinen eigenen Auftrag hat und man darüber nicht diskutieren soll; es war eine Angelegenheit zwischen der Leitung und dem einzelnen Mitglied. Von nun an wurden wir mit der Grundregel des Werkes vertraut gemacht: nicht räsonieren, nicht diskutieren, nicht kritisieren. 


Es gab noch andere fundamentale Ideen, die uns ständig eingebläut wurden. Oft beruhten Gespräch nur auf Schlagworten wie: „Die Welt ist schlecht. Der Kommunismus ist der größte Feind, der Teufel selbst. Die Kirche wird ihrer Sendung nicht gerecht. Es gibt viele Verräter in der Kirche. Das Werk hat viele Feinde. Wer nicht für das Werk ist, ist vom Teufel. ‚Mutter’ hat eine göttliche Sendung, gefasst in die Worte vom ‚Geheimnis des Königs’“ – eigentlich wusste aber niemand genau, was mit dem letzten Ausdruck gemeint war.


Nach einer gewissen Zeit wurde ich aufgefordert regelmäßig schriftlich mitzuteilen, wie ich dachte, wie ich „in meiner Berufung wachse“, ob ich Schwierigkeiten hatte, ob ich etwas über eine Mitschwester mitzuteilen hatte... Dieser Auftrag bereitete mir echte Schwierigkeiten. Ich kam nicht dazu, jede Woche so einen Bericht über mich selbst aufs Papier zu bringen – und vielleicht hat mich das auch ein Stück weit gerettet. Später habe ich nämlich erfahren, dass andere, die ihre „Schwierigkeiten“ mitgeteilt haben, sich verletzlich machten; die Leitung konnte sie leicht isolieren und auf sie einreden bis die „Schwierigkeiten“ gelöst waren. Wer Kritik äußerte, Zweifel oder Bedenken hatte, dem wurde schnell klar gemacht, dass das Versuchungen des Teufels waren. Dieser alte Drache würde alles in Bewegung setzen, um das Werk zu Fall zu bringen und deswegen müsste „Mutter“ dann immer wochenlang schwere Krankheit und Leiden ertragen, um diese Versuchungen der Mitglieder niederzuringen. Das haben sie uns damals weisgemacht.


Es brauchte ca. drei bis vier Monate, um alle Kontakte mit Angehörigen, Freunden und Bekannten abzubrechen. Das Werk wurde uns als eine Familie vorgestellt: „Wir haben doch keine Geheimnisse voreinander...“ Warum soll ich als junges Mitglied, dann nicht zulassen, dass man meine Briefe öffnet? Meine Verantwortliche hatte ja von Gott die Berufung, zu entscheiden, was gut für mich wäre... und so brach ich allmählich den Kontakt zu diesem oder jenem ab, weil sie ja „nicht zum Geist des Werkes passen“... Alle meine Briefe wurden geöffnet. Die Lokalverantwortliche nahm sie unter die Lupe und bestimmte, wem ich antworten durfte und wem nicht. Wenn ich zurückschreiben durfte, las sie alles durch und „besprach“ es mit mir, selbst wenn es sich auf ein paar Allgemeinplätze beschränkte. Ohne, dass es mir selbst bewusst war, war mein Schreibstil innerhalb kürzester Zeit mit dem Wortschatz des Werkes durchsetzt. Später erfuhr ich, dass meine Freunde diese fromme und unpersönliche Schreiberei nicht begreifen konnten. Durch dieses unpersönliche Getue, lösten sich viele Kontakte bald von selbst auf. Mit anderen Freunden musste ich wiederum unbedingt in Kontakt bleiben. Damals verstand ich noch nicht, warum – jetzt weiß ich es. Es waren nämlich Menschen, die potenziell vom Werk beeinflussbar waren; und die durfte ich sogar für ein Wochenende nach Villers einladen.


Es ging sogar so weit, dass Briefe zurückgehalten wurden. Das habe ich bei einer Begebenheit aus dem Jahr 1974 auf besonders krasse Weise erfahren: regelmäßig musste ich verschiedene Dokumente und Schriften des Werkes von einem Haus in ein anderes bringen, um sie dort sicher aufzubewahren. Einmal glitt mir ein ganzer Stapel Papiere aus den Händen. Alles war über den Boden verstreut. Als ich sie wieder sorgfältig zusammenlas, fiel mein Blick auf einen Umschlag mit der Handschrift meiner Mutter. Sollte ich es wagen, den Brief zu öffnen? Nein, das durfte ich nicht. Ich suchte nach dem Stempel: der Brief war zwei Jahre alt, er war an mich adressiert. Ihn zu lesen, wäre Ungehorsam, ich würde mich selbst strafen. Also legte ich den Brief wieder fein säuberlich zwischen die anderen Papiere, ohne ihn gelesen zu haben. Aber es ließ mich nicht los. Was konnte meine Mutter mir geschrieben haben? Ich durfte einfach nicht daran denken. Der Brief war eine Prüfung, er sollte zeigen, ob ich dem Werk treu war. Aber einige Tage später hielt ich es doch nicht mehr aus. Ich ging hin und öffnete ihn. Meine Mutter hatte ihn 1972 geschrieben. Sie schrieb, dass mein Vater schwer erkrankt war und flehte mich an, mich zu melden. Ich hatte diesen Brief nie erhalten! Und das war nur ein Vorfall.


Fortsetzung hier