Noviziat, Ausbildung und Formung.
Ideal und Realität.
Das Noviziat im „Werk“ hat zum Ziel, dass die Novizen nach den Prinzipien des „Werkes“ und seiner Spiritualität auf ein Leben in den evangelischen Räten in der Gnade des „Heiligen Bündnisses“ mit dem Herzen Jesu vorbereitet werden. Die Novizen sollen zu jenem Gesinnungswandel hingeführt werden, den der Apostel Paulus mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst. Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12,1-2). Das Wort Noviziat erinnert die Novizen daran, dass sie zu einer umfassenden Bekehrung und Neuwerdung in Christus berufen sind. Durch ihr Streben nach Heiligkeit (vgl. 2 Kor 7,1) tragen sie zur Heiligkeit der Kirche bei.
Die Novizen betrachten die geistliche Familie „Das Werk“ als ihre neue Familie, die sie mehr und mehr lieben sollen (vgl. Mk 3,31-35). Sie müssen bereit sein, in der Kraft des Glaubens ihre bisherige Lebenswelt zu verlassen (vgl. Mk 1,16-20; Lk 9,62), um in ihrer neuen Familie in die Schule Jesu zu gehen, seine Freunde zu werden und für ihre Sendung als Gottgeweihte vorbereitet zu werden. Um des Herrn willen sollen sie Gewohnheiten und Mentalitäten aufgeben, die mit der Nachfolge Christi nicht vereinbar sind.
- Konst. V, 1 und 3.
Die Formung im Werk, wie sie hier am Beginn des 5. Kapitels der Konstitutionen beschrieben wird, ist ganz getragen von der Absicht, die neuen Mitglieder im Geiste der Spiritualität des Werkes zu erziehen. Das heißt nicht einfach nur, dass sie eine Ausbildung erhalten oder eine Spiritualität kennenlernen, dass sie in eine neue Lebenswelt eintauchen und lernen, sich in ihr zurechtzufinden und sich in sie einzubringen. Es heißt vielmehr, wie das schon im Pauluszitat aus dem Römerbrief deutlich wird: den Wandel des Denkens. Außerdem eine Bekehrung im Sinne einer "schmerzhaften" Selbstverleugnung, wie das das Zitat Verhaeghes nahelegt, das in der Fußnote zum eben zitierten Text enthalten ist:
Wir leben in einer Mentalität, die bewusst oder unbewusst die Dinge vom Ich aus betrachtet, in einer Mentalität, die das Licht über die Folgen der Ursünde in uns mit allerlei Motiven und beschönigenden Namen trübt. Wenn wir Gott lieben mit unserem ganzen Herzen, mit unserer ganzen Seele und mit allen unseren Kräften (vgl. Dtn 6,5), dann werden wir der heilenden Selbstverleugnung kein Hindernis entgegensetzen, wenn uns auch der läuternde Schmerz nicht erspart bleiben wird; doch dieser gereicht uns zum Heil.
- Zitat Verhaeghes in der Fußnote zu Konst. V, 3.
Das Noviziat. Das Ideal.
In die Nachfolge Jesu einzutreten und sich zu diesem Zwecke einer Gemeinschaft anzuschließen, die ein eigenes Charisma besitzt, heißt nicht nur einen neuen Lebensabschnitt beginnen, es heißt das eigene Leben von Grund auf neu auszurichten, sich vertrauensvoll und bedingungslos dem Willen Gottes zu überlassen, die Konfrontation mit sich selbst und den eigenen Fehlern und Schwächen nicht zu scheuen und sich gerne zurechtweisen und helfen zu lassen, um dem Ideal der eigenen Berufung immer mehr zu entsprechen, um immer hellhöriger zu werden für den Willen Gottes, um immer sicherer auf dem Weg des geweihten Lebens voranzuschreiten und anderen Menschen immer besser Orientierung geben zu können.
Man wird zu einem anderen Menschen, legt alte Gewohnheiten ab und nimmt neue an, verliert alte Bekanntschaften und macht neue, verliert alte Ansichten und gewinnt neue Einsichten. Man kleidet sich anders, spricht anders, lebt anders, denkt anders - ist anders, man ist ein neuer Mensch geworden.
Das Noviziat. Beobachtungen.
Zur Skepsis veranlasst hier vielerlei: die Rede vom "Neuen Denken", von der "neuen Familie", von der "umfassenden Bekehrung, von der Pflicht "Gewohnheiten" und "Mentalitäten" aufgeben zu müssen. An und für sich kann all dies vernünftig und angebracht sein. Inwieweit es das ist, hängt aber von den konkreten Umständen ab: ist der Einzelne frei? Ist es er selbst, der sich zu diesem neuen Denken und Leben hinentwickelt oder wird es ihm von außen aufgedrängt? Werden seine Bedenken und Gefühle ernstgenommen? Was genau heißt "neues Denken" und wie kommt man dazu? Welche Gewohnheiten müssen aufgegeben werden? usw.
So wie die "Formung neuer Mitglieder" im Werk vor sich geht, gleicht sie eher der Umerziehung von Menschen, die in eine Sekte geraten sind. Die Schritte sind dieselben:
Isolation. Zuerst wird das neue Mitglied von seiner bisherigen Umwelt so weit wie möglich abgeschnitten und isoliert, oft wird es in ein anderes Land verschickt (von Österreich nach Rom, von Deutschland nach England, von Belgien nach Jerusalem); alle "Kontakte" (alte und evtl. neu dazu gewonnene) werden nun von der Gemeinschaft kontrolliert und "besprochen", sodass einige sofort aufgegeben werden müssen und andere nur noch unter bestimmten Bedingungen zugelassen sind; Telefonate mit den Eltern etwa, dürfen nur selten und nur nach vorheriger Nachfrage stattfinden, der Inhalt der Gespräche muss mitgeteilt und Briefe müssen vorgelegt werden. Innerhalb kürzerster Zeit hat das neue Mitglied im Werk keinen freien Zugang zu seiner Familie, Freunden und Bekannten mehr. Die Kontakte werden oberflächlich. Das neue Mitglied ist erfolgreich einzig auf seine "neue Familie" angewiesen, eine andere hat es nicht mehr. Es ist von der Außenwelt isoliert.
Diese Isolation findet ihre Fortsetzung innerhalb der Gemeinschaft, da persönlicher Austausch zwischen den Mitgliedern nicht möglich ist. Freundschaften und persönliche Gespräche sind verboten. "Öffnen" darf sich das einzelne Mitglied nur gegenüber "seinem" Verantwortlichen. Damit beginnt der nächste Schritt der "Formung":
Manipulation. Dem Verantwortlichen kann das Mitglied nicht nur alles sagen: es muss. Regelmäßige Berichte werden gefordert, wöchentliche, monatliche, jährliche. Über alles, insbesondere über das eigene Innenleben muss Rechenschaft abgelegt werden, ebenso wie über evtl. "Auffälligkeiten" bei anderen - über alles, auch über die Gefühle und Eindrücke des Novizen beansprucht der Verantwortliche Deutungshoheit. Zugleich wird das "Ideal" kommuniziert: der Eliteanspruch, die Bekehrung hin zum "neuen Menschen", die bedingungslose Hingabe, das Vertrauen zu den Verantwortlichen, Askese und Selbstverleugnung, Eifer und Ausdauer beim Arbeiten, Folgsamkeit und "Strahlkraft" - das alles wird erwartet. Wer es nicht schafft, wird gerügt. Jedes neue Mitglied möchte dieses Ideal erfüllen, es strahlt - auch dann, wenn es sich nicht wirklich glücklich fühlt, ist fleißig, auch wenn ihm die Kraft ausgeht, übt Selbstverleugnung z. T. über die Maßen, bringt Vertrauen auf, selbst dann, wenn ihm etwas merkwürdig vorkommt, beschwert sich nicht, auch wenn es sich verletzt fühlt - bis es nicht mehr kann. Dann kommt der nächste Schritt:
Psychischer Druck. Wer nicht mehr kann, wird unter Druck gesetzt. Er glaubt zunächst, dass er selbst Schuld ist, dass es die Erbsünde in ihm ist, seine schlechten Neigungen, seine gefallene Natur. Nicht alle schaffen es, sich von diesem Vorwurf zu befreien und ihre aller normalsten Empfindungen zu verteidigen: Erschöpfung, weil zuviel gearbeitet werden muss; Einsamkeit, weil keine persönlichen Kontakte möglich sind; Verletzung, weil die eigenen Gefühle und Fähigkeiten nicht wahrgenommen werden etc. Die Verantwortlichen lassen das alles nicht gelten, sondern verweisen auf die vermeintlich mangelnde Gottesliebe und Einsatzbereitschaft des Mitgliedes, sie machen Druck, setzen Fristen, drohen mit Vertrauensentzug und zeigen sich enttäuscht. - Manche Menschen brechen an diesem Punkt zusammen und werden aus der Gemeinschaft "geworfen". Andere verlassen die Gemeinschaft. Wer an diesem Punkt den Weg aus der Gemeinschaft nicht findet, wird zu einem gebrochenen Menschen. Er muss damit leben und lässt es zu, dass sein Innerstes ständig von Außen kontrolliert und vergewaltigt wird. Solche Mitglieder "funktionieren" im System der Gemeinschaft, sie lassen sich ohne Rücksicht auf ihre Gefühle, ihre Persönlichkeit und Begabungen hier und dort hin- und her versetzen, lassen sich alles nehmen, alles mit sich machen und tun nie den Mund auf. Zugleich sind sie aber gerade deswegen auch nur begrenzt im Kontakt mit der Außenwelt einsatzfähig, viele arbeiten ausschließlich intern.
Missbrauch. Wer einmal so gebrochen ist, ist kaum mehr in der Lage, sich zu wehren oder überhaupt nur seine eigenen Empfindungen selbst wahrzunehmen. Er hat sein normales Gefühlsleben, sein eigenes Denken und Wollen verloren, hat es abgewöhnt bekommen und findet keine Zugang mehr zu sich selbst, geschweige denn zu anderen. Er weiß nicht, wie er auf andere wirkt, er weiß ja nicht einmal mehr, wie er sich selber fühlt: er hat alle Maßstäbe verloren, weil der einzige Maßstab das Wort seiner Verantwortlichen ist. Deshalb ist dem Einzelnen sein eigener Zustand ab einem bestimmten Punkt auch nicht mehr bewusst. Das heißt: er ist in jeder Hinsicht missbrauchbar.
Dazu kommt, dass er auch rechtlich völlig ausgeliefert ist: er hat keine Ansprüche gegenüber dem Werk, weil er niemals wirklich endgültig als Mitglied aufgenommen wird (solange noch irgendeine Gefahr besteht, dass er zu sich kommen und die Gemeinschaft verlassen könnte). Dennoch unterzeichnet er jedes Jahr von Neuem, dass er freiwillig in der Gemeinschaft bleiben will, dass er freiwillig seinen ganzen Besitz aufgegeben hat und das Werk alles erben wird, was er jemals evtl. besitzt. Er darf mit niemandem reden, niemand darf mit ihm reden, er darf kein Tagebuch führen und nicht einmal darüber nachdenken, wie er sich fühlt. Alles, was mit ihm geschieht, wird vom Werk gedeutet und erklärt, und er muss die Deutung des Werkes annehmen. Er tut das auch, weil er es so gelernt hat: er hat gelernt, seinen eigenen Wert von der Beurteilung seiner Verantwortlichen abhängig zu machen und nichts anderes mehr zu wollen, als ihnen zu entsprechen, egal, was mit ihm geschieht. - Das ist das Ziel des Noviziates: aus Menschen willenlose Werkzeuge zu machen.