Was will dieser Blog?

Dies ist der Blog ehemaliger Mitglieder des "Werkes". Er enthält Geschichten, Tatsachen und Erfahrungen, die vom "Werk" sorgfältig verschwiegen oder geleugnet werden. Er sei jedem ans Herz gelegt, der mit dem "Werk" in Kontakt kommt.

Warum hast du dich nicht gewehrt?

Wer aus dem Werk (oder ähnlichen Gruppen) ausgetreten ist und seine Erfahrungen aufarbeitet, bekommt oft eines zu hören: Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum bist du nicht früher gegangen? Der Einzelne fragt sich das vor allem selbst: warum habe ich mir das alles solange gefallen lassen? Warum habe ich ihnen vertraut?

Grundregeln sozialer Interaktion ausgehebelt


Auf diese Frage gibt es keine leicht nachzuvollziehende Antwort. Der Grund dafür, dass es beinahe unmöglich ist, sich aus diesen Gruppen zu befreien, auch und gerade dann, wenn sie einem schaden, liegt darin, dass grundlegende Regeln sozialer Interaktion in Gruppen wie dem Werk ausgehebelt sind.

Dazu gehören insbesondere persönliche Freiheiten, wie: die Legitimität eigener Ziele, die Artikulation eigener Wahrnehmung, freie Kommunikation und persönliche Beziehungen, Denk- und Redefreiheit. - Aber auch so grundlegende Dinge wie Besitz, Selbstorganisation, Freizeit. In gesunden Verhältnissen sind diese Freiheiten selbstverständlich vorausgesetzt und (weitgehend) gewährleistet. Im Werk gibt es sie nicht. Das wird allerdings nicht direkt formuliert (sonst würde ja niemand dort eintreten und kaum jemand das Werk verteidigen), sondern es gibt eine spirituelle Umdeutung, eine Ideologie, die diese Entrechtung und Abhängigkeit des Einzelnen verschleiert.

M. a. W.: Im Werk herrscht eine eigene Logik. Es herrschen andere Ideale, andere Gesetze, andere Mechanismen, die alle die Opfer rechtfertigen, die das einzelne Mitglied bringen muss, die Kritik an der Leitung unmöglich machen, die Widerstand nicht aufkommen lassen.

Praktisch bedeutet das: das einzelne Mitglied hat so gut wie keine Möglichkeit, sich zu wehren, wenn ihm direkt oder indirekt geschadet wird.

Ein Beispiel


Ein Beispiel kann das verdeutlichen: eine junge Schwester, die eine hervorragende Matura abgelegt hat und gerade erst eingetreten ist, arbeitet seit ihrem Eintritt täglich zehn Stunden in der Küche, unterbrochen nur von Mahlzeiten (bei denen sie "ausschöpfen" muss) und den Gebetszeiten, zu denen sie auf kürzestem Wege von der Küche in die Kapelle gerade noch rechtzeitig kommt, um hinterher direkt wieder in die Küche zurückzueilen. Sie ist ständig übermüdet, hat keine freie Zeit (außer die Sonntagnachmittage, an denen sie mit den anderen Schwestern geistliche Vorträge hören muss) und fast keinen Kontakt zu ihrer Familie mehr.

Warum wehrt sie sich nicht? Wie könnte sie sich wehren?

1. Sie wird sich nicht wehren, weil sie gar nicht merkt, dass ihr Unrecht geschieht.
Sie ist glücklich. Sie denkt nicht daran, dass ihr Leben als Schwester anders aussehen könnte bzw. müsste. Manchmal vermisst sie vielleicht ihre Familie. Aber sie wischt jeden negativen Gedanken sofort weg. Ihr Vertrauen in ihre Verantwortlichen ist vollkommen. Ihr Bewusstsein, sich Gott ganz hingeschenkt zu haben, berauscht sie. Sie glaubt an das Ideal der "bedingungslosen Hingabe" und weiß sich, weil sie alles hingegeben hat, besonders von Gott geliebt. - Sie denkt nicht im Traum daran, dass ihre "Verantwortlichen" Pflichten ihr gegenüber verletzten, dass sie ein Recht auf Urlaub und auf eine ihren Begabungen entsprechende Ausbildung hat. Sie unterscheidet nicht zwischen dem Willen Gottes und dem Willen ihrer Verantwortlichen. Sie hat schon mit ihrem Eintritt alle eigenen Ziele und Überlegungen aufgegeben. Kurz: Sie ist bereits dabei, grundlegende soziale Kompetenzen zu verlieren: sie identifiziert sich so vollständig mit der Gruppe, dass sie ihre eigenen Emotionen nicht mehr richtig wahrnimmt und ausdrückt (Müdigkeit/Erschöpfung, Sehnsucht nach ihren Eltern).

2. Sie wird gut behandelt.
Vielleicht spürt sie doch, dass sie übermüdet ist und teilt das ihrer Verantwortlichen mit. Ihre Verantwortliche reagiert "verständnisvoll" und erlaubt ihr, am nächsten Tag bis um 6:30 "auszuschlafen". Sie ist dankbar (der klitzekleine Gedanke, dass "ausschlafen bis um 6:30" lächerlich ist, dringt kaum bis in ihr Bewusstsein vor - das würde sie niemals über die Lippen bringen). Ihre Mitschwestern, die tapfer "durcharbeiten" können, erscheinen ihr nun noch bewundernswerter. Sie will keinesfalls hinter ihnen zurückbleiben, sondern sich und vor allem ihrer Verantwortlichen beweisen, dass sie genauso hingabebereit sein kann. Ihr wahres Glück besteht schließlich darin, eine "gute Schwester" zu sein. Wenn die Müdigkeit bleibt, wird sie um jede Stunde mehr Schlaf extra nachfragen müssen. Das wäre ihr zu peinlich... und tatsächlich: sie fühlt sich bald nicht mehr so müde! Tatsächlich bleibt ihre Erschöpfung bestehen, sie spürt sie aber nicht mehr. Sie hat den Kontakt zur ihren eigenen Emotionen verloren.

3. Sie wird vertröstet.
Vielleicht denkt sie aber auch, dass sie nicht dafür Matura gemacht hat, um dann Tag für Tag in der Küche zu stehen. Und vielleicht traut sie sich sogar, ihrer Verantwortlichen diesen Gedanken mitzuteilen. Und tatsächlich: ihre Verantwortliche reagiert auch jetzt "verständnisvoll": Wir wissen, dass du sehr begabt bist und du kannst sicher sein, dass wir deine Begabung brauchen. Gott hat Großes mit dir vor. Betrachte deine Arbeit in der Küche als Vorbereitung auf deine zukünftigen Aufgaben. - Vielleicht traut sie sich sogar zu fragen, wann sie denn etwas anderes tun darf und was. Dann wird sie als Antwort bekommen: das wissen wir selbst noch nicht, aber Gott wird es zu seiner Zeit zeigen. - Damit ist sie zufrieden. Gott selbst und dass er durch die Verantwortlichen spricht, kann sie nicht in Frage stellen, denn das ist die Grundlage ihrer Berufung.

4. Sie muss noch viel lernen.
Vielleicht ist sie aber noch viel selbstbewusster und sagt ihrer Verantwortlichen nicht nur, dass sie übermüdet ist und für andere Aufgaben besser geeignet wäre, sondern wundert sich auch, dass sie überhaupt in die Küche gesteckt worden ist und wagt es, direkt nachzufragen, warum und wie lange noch. Wenn sie eine erfahrene Verantwortliche hat, wird die auch jetzt noch "verständnisvoll" reagieren (obwohl sie beunruhigt sein wird). Ihr wird dann signalisiert, dass es normal ist, dass sie das jetzt empfindet, sie ist ja auch gerade erst eingetreten und muss noch viel lernen. Das geweihte Leben bedeute bedingungslose Hingabe und nur in dem Maß, in dem man seine eigenen Wünsche bereit ist aufzugeben, wird man darin glücklich. Solche Dinge wie Müdigkeit, Erholung, Matura, Begabungen treten dahinter zurück, sie werden relativ. Dass sie glaubt, wegen ihrer Matura nicht in der Küche stehen zu sollen, verrät nicht nur mangelnde Demut, sondern vor allem rein menschliches Denken  (und wer weiß, wenn sie sich bewährt hat, könne man ihr ja in Zukunft durchaus andere Aufgaben anvertrauen). Auch in der Küche geschehe im Verborgenen Großes und Gott könne man nur an dem Platz dienen, an den er einen stellt. Allein Gott dienen mache wahrhaft glücklich alles andere ist Schein-Glück etc. - Wenn sie ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber ihrer Verantwortlichen hat und es sich mit ihr nicht verscherzen will, wenn sie an ihre eigene Berufung glaubt, wird sie sich vermutlich zumindest vorerst darauf einlassen, es wenigstens zu probieren, ihre "eigenen Wünsche und Gedanken" aufzugeben. Kurz: sie riskiert, eine grundlegende soziale Kompetenz zu verlieren: eigene Ziele zu verfolgen.

5. Sie muss sich bekehren/ wird vom Teufel versucht/ist eine Gefahr für Das Werk.
Vielleicht geht sie aber auch ganz anders vor und teilt ihre Zweifel nicht der Verantwortlichen mit, sondern spricht mit jemand anderem darüber, mit einer Mitschwester, ihren Eltern oder Freunden von früher. Die Mitschwester wird sich diesem Kommunikationsversuch verweigern und sie mehr oder weniger streng ermahnend an ihre Verantwortliche verweisen. Ihre Eltern und Freunde werden schockiert sein. Alle möglichen Ansprechpartner werden sich aber höchstwahrscheinlich an die Leitung des Werkes wenden, in jedem Fall wird ihre Verantwortliche erfahren, dass sie mit Dritten gesprochen hat. Nun ist ihre Verantwortliche alarmiert. Sie reagiert nicht mehr verständnisvoll, sondern irritiert. Ja, sie ist von der Schwester enttäuscht, die so wenig Vertrauen zeigt. Wenn sie nicht lerne, sich an die Grundregeln des Gemeinschaftslebens zu halten (von denen die erste ist, dass man Zweifel nur mit dem persönlichen Verantwortlichen bespricht), dann könne sie auf Dauer nicht im Werk bleiben und man müsse sie wegschicken. Damit setze sie ihre eigene Berufung aufs Spiel, die für sie der einzige Weg zu Gott und damit zum Glück ist. Ob sie denn nicht merkt, dass es der Teufel war, der sie zu diesem Verhalten verführt hat, weil er ihre Gottesbeziehung zerstören will? Alles, was ihre Berufung im Werk gefährdet, zerstört auch ihr Glück. - Solange sie das glaubt, wird sie sich kaum wehren können, im Gegenteil: sie wird erschrocken sein, weil ihr nicht bewusst war, was für einen schrecklichen Fehler sie gemacht hat. In Zukunft wird sie alle Fragen allein mit ihrer Verantwortlichen besprechen. Sie will ihr Lebensglück nicht aufs Spiel setzen.

Die einzige Möglichkeit: das Ganze in Frage zu stellen.


Wie könnte sich jemand im Werk also wehren? Im Grunde besitzt er nur eine einzige Möglichkeit, nämlich die Zurückweisung des gesamten ideologischen Überbaus. Dies stellt einen unmöglichen Kraftakt dar. Jeder hat schließlich einen Grund, aus dem er eingetreten ist. Und je mehr man dafür aufgegeben hat, je mehr gefühlt davon abhängt, dass man diese Berufung hat und sie verwirklichen kann, desto unmöglicher ist es, sie in Frage zu stellen.

Es gibt eine ganze Reihe Mitglieder im Werk, die große Zweifel an der Leitung der Gemeinschaft, an der Kompetenz ihrer persönlichen Verantwortlichen, an der Spiritualität und dem Selbstverständnis des Werkes hegen. Auch wenn die meisten nur kleine Einblicke in die Leidensgeschichten ihrer Mitbrüder und Mitschwestern haben und längst nicht das ganze Ausmaß der Verantwortungslosigkeit ihrer Leitung kennen. Aber kaum einer wird ernsthaft an seiner Berufung und am "Charisma" des Werkes zweifeln. Sie bleiben, weil sie glauben, dass Gott will, dass sie im Werk sind und weil sie hoffen, dass das Werk sich zum Besseren verändern kann.

Dieser Glaube an die eigene Berufung und an das "Charisma" des Werkes ist absolut unangreifbar. Die Frage, ob Gott mich vielleicht zu etwas anderem berufen haben könnte, und mehr noch die Frage, ob das Charisma wirklich "die Antwort Gottes auf die Not unserer Zeit" ist, sind tabu. - Oft auch noch Jahre nach dem Austritt.


Wie schafft man es, zu gehen?


Die Loslösung vom Werk hängt nicht davon ab, dass man zuerst den Glauben an das Werk ganz aufgibt. Das ist - wie oben beschrieben - praktisch unmöglich. Vielmehr sind vom Werk unabhängige Referenzpunkte die Bedingung für eine Loslösung vom Werk. Nur wenn es "da draußen" noch etwas oder jemanden gibt, zu dem das Mitglied Vertrauen fassen kann, kann die ideologische Käseglocke durchbrochen werden und der Einzelne seine Freiheit wiedererlangen.

Solche Referenzpunkte sind in erster Linie Menschen, aber auch Medien und Orte, die als Träger einer "heilsamen Atmosphäre" einen Hintergrund bilden, vor dem das eigene Leben im Werk überhaupt erst als bedrückend erfahren werden kann. Diese Referenzpunkte müssen sich ihrer Rolle für die Emanzipation des Mitgliedes nicht bewusst sein. Es ist sogar besser, wenn sie nicht aktiv versuchen, das Mitglied vom Werk zu lösen (das könnte es als beängstigend empfinden und sich erneut manipuliert fühlen). Es genügt, wenn sie da sind und dem Mitglied ein anderes Lebensgefühl vermitteln. Wichtig ist, dass es selbst Subjekt seiner Befreiung wird, und Ansprechpartner da sind, sobald es selbst beginnt über seine Erfahrungen im Werk und einen möglichen Austritt zu sprechen.

Sobald der Austritt ernsthaft erwogen wird, braucht das Mitglied aktive Unterstützung von außen. Es benötigt eine möglichst sichere und unaufgeregte Umgebung für die allererste Zeit nach dem Austritt und eine gute Alternative für ein "Leben danach", eine berufliche Option, finanzielle Sicherheit und vor allem ein soziales Netz, das es auffangen kann. Ein "guter" und sicherer Ausstieg ermöglicht eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Zeit im Werk, eine relativ rasche Wiederaneignung von sozialen Schlüsselkompetenzen und Selbstsicherheit und den Wiedereinstieg in ein "normales" selbstbestimmtes Leben. Gott sei Dank schaffen auch viele, die diese Hilfe nicht in dem eigentlich benötigten Umfang zu Verfügung haben, diesen Übergang. Wir hoffen aber, dass alle, die den Mut haben, sich aus dem Werk und ähnlichen Gemeinschaften zu befreien, die Hilfe finden, die sie brauchen. Denken Sie dabei auch an Ansprechpartner, die wir auf unserer Linkliste anführen.









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