"Gegenseitige Ergänzung"
Die gegenseitige Ergänzung bezeichnet eine bestimmte Form von Kritik, die Mitglieder aneinander bzw. Verantwortliche an Mitgliedern üben sollen. Alle Mitglieder sollen immer bereit sein, sich in jeder Form von jedem "ergänzen zu lassen". Dahinter steht die Vorstellung, dass das einzelne Mitglied seine Aufgaben immer nur mangelhaft erfüllen kann, dass das Werk und sein "Charisma" nur in der gemeinsamen Anstrengung aller Mitglieder "fruchtbar" wird und individuelles Handeln, individuelle Begabungen und Persönlichkeiten wenig Wert besitzen. Dahinter steht auch die Vorstellung, dass jeder unvollkommen ist und dass andere, insbesondere die Verantwortlichen den Einzelnen "vervollkommnen" können, weil sie sehen, was dem Einzelnen fehlt, wo er Fehler macht und wie diese zu beheben sind - was der Einzelne selbst nicht sehen kann, eben wegen seiner intrinsischen Mängel. Diese Formel eröffnet den Verantwortlichen die Möglichkeit in das Handeln jedes Mitgliedes jederzeit eingreifen zu können ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Der Einzelne muss nicht verstehen, was er falsch gemacht haben soll und er darf sich nicht rechtfertigen (d.h. er darf die Gründe, die ihn dazu veranlassen, etwas auf eine bestimmte Art und Weise zu tun nicht darlegen und verteidigen). Es genügt, dass ein anderer verlangt, dass er seine Aufgabe anders erfüllen soll, um ihn auch schon darauf zu verpflichten. Aber nicht nur in ihren Aufgaben, auch in ihrer Persönlichkeit sollen Mitglieder des Werkes sich "ergänzen" lassen. Sodass andere "sehen", wenn jemand bspw. zu viel lacht, zu schnell isst, zu laut spricht, zu langsam arbeitet, zu viel fragt, zu fromm betet etc. Damit entsteht unter den Mitgliedern eine Art Korrektur-Terror, dem der Einzelne sich schließlich nur durch weitestgehende Unterordnung und Anpassung entziehen kann.
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