Das Konzil leben
Dieser Text ist ein Brief Verhaeghes an die Gemeinschaft am 14. Dezember 1965. Sie gibt der Gemeinschaft ihre Deutung des Konzils weiter und verrät in diesem Text zugleich große Ahnungslosigkeit und Unsicherheit. Mit keinem Wort geht sie auf irgendein Konzilsdokument ein. Es ist anzunehmen, dass sie sie entweder nicht gelesen oder aber nicht verstanden hat. Dennoch ruft sie dazu auf, sie zu befolgen, um der Kirche treu zu sein. Zugleich warnt sie aber wiederum - auf eine merkwürdig umständliche Art - vor dem Dialog und dessen "negativen Konsequenzen".Der Text scheint also ein Aufruf dazu zu sein, tapfer das "Gute" des Konzils umzusetzen und das "Schlechte" zu ertragen, im Geiste der Bekehrung, wie er im Werk glorifiziert und gefordert wird, und über den Verhaeghe sich dann ausführlich auslässt - etwas, was ihr wohl leichter von der Hand geht als die Auseinandersetzung mit den Konzilsdokumenten...
Das Konzil ist zu Ende gegangen. Für die Gläubigen bedeutet dies einen neuen Beginn, nämlich, das in die Tat umzusetzen, was durch die höchste Hierarchie in der Kirche – trotz aller menschlichen Elemente in den Dingen Gottes – beschlossen wurde. Der Herr selbst hat während seines ganzen Lebens unaufhörlich ein Vorbild gegeben, mit welcher Ehrfurcht er den Gesetzen der Kirche seiner Zeit gegenüberstand.
Darum wollen wir die Ersten sein, die in die Tat umsetzen, was beschlossen wurde, und so dem Beispiel des Herrn Folge leisten.
Auch er trat in den Dialog mit den Seinen und mit all jenen, die der Vater ihm aus allen Stämmen und Nationen geben wollte. Er trat auch in den Dialog mit der Kirche seiner Zeit. Die guten und weniger guten Folgen, die dieser Dialog mit sich brachte, nahm er mit Hochherzigkeit, in Heiligkeit und vorbehaltloser Hingabe an die Verfügungen seines himmlischen Vaters auf sich. Auch darin wollen wir ihm nachfolgen, indem wir auf ihn schauen, uns ohne Bedingungen einsetzen und in Treue ausharren, so wie unsere Berufung es fordert. Das bedeutet, dass wir den uns zufallenden Anteil am Werk der Erlösung und Befreiung vom Egoismus, von der Habsucht und allen anderen aus der Erbsünde stammenden Belastungen unserer menschlichen Natur auf uns nehmen, um so die Freiheit des Gotteskindes wiederzugewinnen, das zu einem bräutlichen Leben im Mystischen Leib, das heißt zu einer vollkommeneren Teilnahme an Christi Sein und Leben, berufen wurde.
In Theorie wissen wir über das Sein und Leben Jesu Christi alle mehr als genug. Dazu kam er auf die Erde und nahm unsere menschlichen Lebensbedingungen an, um uns in unserer Natur (die eine verletzte Natur ist) wieder zu heilen und uns aus unseren versklavten Neigungen durch seinen eigenen Einsatz, sein Leben und sein Sterben zu erlösen. Er kam, um uns durch sein Vorbild und seine Lehre das Anwesend-Sein des übernatürlichen Lebens in uns in Vereinigung mit dem Vater und im Heiligen Geiste zu offenbaren. Er kam, um uns an seinem Sein und seiner Herrlichkeit im Vater und im Heiligen Geist Anteil nehmen zu lassen, um alle zu erlösen und zu befreien, die es selbst wollen und manche aus ihnen (seine Auserwählten) zu einem aller-intimsten Leben mit Ihm zu berufen.
Durch das Ja zu dieser Berufung haben wir uns mit dem Einsatz unseres ganzen Lebens entschlossen, in die Fülle des Lebens Christi einzutreten. Es geschah nicht nur, um selbst erlöst und befreit zu werden. Dies kann nicht für sich allein bestehen, da unsere Erlösung sich nur in dem Maße vollzieht, als wir unser Verbunden- und Vereinigt-Sein mit Christus im Willen des Vaters den anderen, die mit uns das Leben teilen, weiterschenken und mit ihnen Seine Gnadengaben und Sein Leben teilen. So strömt dieses Licht weiter zu all jenen, die Ihn suchen und denen wir begegnen dürfen. Gleichgesinnte erfahren ihre innere Einheit noch stärker im „Sein“ als durch Worte, obwohl Worte ihren Teil dazu beitragen können, um dieses „Sein“ zum Ausdruck zu bringen.
Wir haben uns gemeinsam entschieden, nicht beim theoretischen Wissen stehenzubleiben, sondern das Erkannte in die lebendige Praxis umzusetzen und danach zu leben. Dies bedeutet eine Lebensaufgabe im wahren Sinn des Wortes … Gerade deshalb, weil das Ihm-Nachfolgen das ganze Leben umfasst, hat der Herr an die Jünger eine besondere Forderung gestellt: „Verlasse – verleugne dich selbst!“ (vgl. Mk 8.34). Nicht die anderen müsst ihr verleugnen oder verlassen, nein, euch selbst. Deshalb seid ihr mit ihm und um seinetwillen nach seinem Vorbild aus einem Stück Welt herausgetreten, habt ihr den eigenen Familien- und Freundeskreis verlassen und seid ihr einer Gemeinschaft Gleichgesinnter beigetreten. Dadurch wird es möglich, dass ihr mit Christus in diese Welt zurückkehrt, nachdem ihr euch selbst verleugnet habt und um seinetwillen gerne und freiwillig so selbstlos geworden seid, dass ihr den Menschen in der Welt als sein Instrument begegnen könnt und ihr ihn in und durch euch zu offenbaren und für ihn Zeugnis abzulegen vermögt.
Um zu dieser Vollkommenheit in Christus zu gelangen, lebt ihr die evangelischen Räte, oder besser gesagt, ihr übt euch, ihr strebt danach, sie gemäß den Forderungen eurer eigenen Berufung, eurer eigenen Gemeinschaft zu leben, die sich in der Geschichte der Kirche dieser Zeit Schritt für Schritt konstituiert – gemäß dem ausdrücklichen Auftrag und den Richtlinien des Herrn selbst, die Er unserer geistlichen Familie gegeben hat. In diesem Sinn entwickelt sich unsere Berufung – unsere Gemeinschaft – in mancher Hinsicht anders als viele andere Orden und Kongregationen.
Julia Verhaeghe
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